Portrait eines Mannes

Wie verändert die Arbeit mit KI die Forschung?

#Künstliche Intelligenz

Autor: Björn Lohmann

Künstliche Intelligenz als Werkzeug der Wissenschaft bringt Risiken, Chancen und Ambivalenzen mit sich. Es gilt, diese zu erkennen und einzuordnen. Eine Revolution ist laut Jens Schröter jedoch nicht in Sicht.

Hysterie ist unangebracht.

Jens Schröter

"Hysterie ist unangebracht." Die unaufgeregte Körpersprache, mit der Prof. Dr. Jens Schröter diese Worte spricht, unterstreicht ihre Bedeutung und steht im Gegensatz zu so mancher Äußerung anderer Fachleute. Der 55-Jährige ist Professor für Medienkulturwissenschaften an der Universität Bonn und beschäftigt sich intensiv mit Künstlicher Intelligenz (KI). Einem Thema, das seit einigen Jahren kontinuierlich für Aufregung sorgt.

Am meisten interessiert ihn, wie andere Forschende sich mit KI beschäftigen: Gemeinsam mit Prof. Dr. Anna Echterhölter von der Universität Wien, Dr. Andreas Sudmann von der Universität Bonn und Prof. Dr. Alexander Waibel vom Karlsruher Institut für Technologie untersucht er, wie KI in der akademischen Forschung genutzt wird – und wie sich diese dadurch verändert. Wie verändert Künstliche Intelligenz die Wissenschaft? Forschung in der Ära der lernenden Algorithmen heißt das Projekt, das von der VolkswagenStiftung gefördert und von Schröter zusammen mit den anderen Antragsstellern geleitet wird.

Mit seinem krausen grauen Haar, dem gepflegten Vollbart, in dem sich inzwischen so manches Weiß zeigt, einer randlosen Brille und dem gemütlich wirkenden grauen Wollpullover würde Schröter auch unter Kunstschaffenden nicht auffallen. "Ich habe tatsächlich lange überlegt, ob ich Kunst oder Naturwissenschaften studieren soll" erzählt der gebürtige Darmstädter. Die Kulturwissenschaften hätten ihm die interessante Möglichkeit gegeben, "von beidem etwas zu haben". So studierte er schließlich Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. "Das hat viel, was ich zu wissen glaubte, auf den Kopf gestellt – und mir wurde klar, dass ich vieles, das ich zu wissen glaubte, gar nicht wusste.

Ein Universalist der Medienwissenschaften

Wer heute mit Schröter spricht, merkt schnell, dass dieser inzwischen in vielen Wissenschaften zu Hause ist. "Manche Leute sagen, ich sei der letzte Universalist der Medienwissenschaften", berichtet Schröter schmunzelnd. Seine Themen reichen von der Fotografie über postmonetäre ökonomische Organisationsformen bis zu dreidimensionalen Bildern wie der Holographie. Oder mit seinen eigenen Worten: "Ich habe einen Hang zum Ungewöhnlichen, und es bereitet mir einfach Spaß, experimentelle Projekte zu machen."

Künstliche Intelligenz ist eines dieser Themen, auf das Schröter früh gestoßen ist. Schon 2019 – noch vor ChatGPT – gab er dazu zusammen mit Christoph Ernst, Dr. Irina Kaldrack und Dr. Andreas Sudmann eine Ausgabe der Zeitschrift für Medienwissenschaften heraus. Daraus entstand auch die Idee für sein heutiges Projekt, das noch bis ins nächste Jahr läuft: "Welche Rolle spielt KI für die Produktion von Wissen?", wollte der Forscher wissen. 144 Projekte, in denen mit KI geforscht wird, haben er und seine Kolleg:innen identifiziert. Daraus haben sie für drei Fachgebiete – Filmwissenschaften, Soziologie und Geowissenschaften – jeweils ein Projekt näher untersucht.

Der Blick in die Geschichte relativiert die Hysterie

Schröters erster Eindruck: "Ich bin nicht sicher, ob KI etwas Grundsätzliches verändert." Zwar sei generative KI, die neue Daten erzeugen kann, schon überraschend gewesen. "Aber auch dafür gibt es Vorbilder", sagt der Forscher. Nichts sei vorläuferlos. Als etwa die Fotografie entstand und ganz neue Bildtypen ermöglichte, hätten die Menschen gesagt: "Auf einmal kann die Natur sich selber zeichnen – wie verrückt ist das denn?!" Und als es mit Film erstmals möglich wurde, Bewegungen aufzuzeichnen, war das etwas, das es zuvor noch nie gegeben hatte.

KI und die Gesellschaft von Morgen

Schon vor einigen Jahren zeichnete sich ab dass KI weitreichende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben könnte – aber in welchem Ausmaß, war damals kaum vorhersehbar. Die VolkswagenStiftung hat dennoch frühzeitig die Initiative ergriffen und 2019 die Förderinitiative Künstliche Intelligenz – Ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft von morgen gestartet, um Forschenden wie Schröter zu ermöglichen, die gesellschaftlichen Dimensionen von KI interdisziplinär zu erforschen. Zahlreiche Projekte sind daraus hervorgegangen – mit innovativen Ansätzen und wichtigen Impulsen für den öffentlichen Diskurs. Präsentiert wurden sie beim Abschlusssymposium "AI and the Society of the Future". 

Zur (beendeten) Förderinitiative
Collage mit medialen Elementen

Dieses Bild betont: Daten in KI-Systemen – ob roh oder verarbeitet – sind Menschlichen Ursprungs. Spiegel und Reflexion stehen sinnbildlich dafür: KI-Ergebnisse wirken magisch, sind aber Spiegelbilder unserer Gesellschaft. Weitere Informationen unter betterimagesofai.org.

"Interessant finde ich aber, dass man beim Maschinellen Lernen nicht mehr genau weiß, was darin vorgeht", betont Schröter. Ein großes Thema ist deshalb heute auch Explainable AI, also KI, die nachvollziehbar macht, wie sie zu ihren Ergebnissen gelangt. "KI kann Unfug produzieren, weil es nur Statistik ist", sagt der Forscher. Aber Disziplinen wie die Teilchenphysik arbeiten schon lange statistisch. "Dort hat man mit KI wahrscheinlich weniger Probleme als in manch anderen Wissenschaften", vermutet Schröter. Doch genau das sei eine der Fragen im Projekt.

Der besondere Blick der Medienwissenschaften

Warum aber beschäftigt sich ausgerechnet ein Medienwissenschaftler damit? "Die Medienwissenschaft geht in ihren größenwahnsinnigen Momenten davon aus, dass es nichts gibt, was nicht medial vermittelt ist", scherzt Schröter. Auch Tiere sind intelligent, benutzen Werkzeuge, erkennen sich im Spiegel, Ameisen betreiben Landwirtschaft und haben ein hochentwickeltes Staatswesen. "Aber kein Tier legt Bibliotheken an, darum treten Tiere auf der Stelle." Zivilisation funktioniere, indem Wissen aufgeschrieben und weitergegeben werde. Damit hänge jede Zivilisation an ihren Medien. Außerdem sehe die Medienwissenschaft den Menschen als einen Effekt, der durch mediale Ordnung hervorgebracht wird: "Der Mensch ist ein System aus Körper, Gehirn, Sprechen und angelagertem Code wie Adresse, Bankverbindung, etc.", erläutert der Forscher. Jetzt gebe es ein neues Medium, mit dem sich große Datenmengen analysieren und neue Daten erzeugen lassen.

Für Schröter ist klar, dass es keineswegs den Effekt der KI auf die Forschung gibt. "Es gibt auch nicht die Forschung", betont der 55-Jährige. Datenintensive Forschung wird durch KI effizienter oder überhaupt erst möglich. Andere Bereiche wie die Kunstgeschichte benötigen ein solches Werkzeug oftmals nicht. Wieder andere wie die Klimaforschung arbeiten schon lange mit komplexen Computersimulationen, um die Komplexität ihres Fachgebietes zu erschließen. Hier könnte Schröter sich vorstellen, dass KI nur zögerlich Eingang findet, da bereits gut funktionierende Methoden existieren.

Blick über die Schulter der KI-Nutzer:innen

Das Projektteam nähert sich diesen Fragen auf drei Wegen. Erstens schauen die Forschenden wissenschaftshistorisch auf KI: „Daten sind nicht einfach gegeben, sondern werden gemessen und erhoben“, erläutert Schröter. „Wir schauen, welche Leute in den Daten nicht auftauchen, wie Datensätze gebiast sind oder wo Urheberrechtsverletzungen vorliegen.“ Warum sind die Daten, wie sie sind, und welche Folgen hat das?

Wir versuchen, Schritt für Schritt fragend zu einem Bild zu gelangen, was es für die jeweilige Disziplin bedeutet, jetzt mit KI zu arbeiten. 

Jens Schröter

Zweitens schaut das Team Forschenden über die Schulter: Mit welcher Software wird gearbeitet, welche Verfahren werden genutzt? Kommen vorhandene Frameworks zum Einsatz oder bauen sich die Forschenden eigene Software-Systeme? "Wir versuchen, Schritt für Schritt fragend zu einem Bild zu gelangen, was es für die jeweilige Disziplin bedeutet, jetzt mit KI zu arbeiten", resümiert Schröter. "Was sind die Diskussionen, Probleme und Möglichkeiten, die sich ergeben?" Über allem stehen die Fragen, ob KI eher bestehende Methoden erweitert oder gänzliche neue Fragestellungen – vielleicht sogar qualitativer Art – ermöglicht. Weil die KI mangels Nachvollziehbarkeit verändert, wie Ausgangsdaten und Ergebnisse verbunden sind, könnte sich das Verhältnis von Forschenden zu ihren Daten grundlegend verändern.

Herausfordernd bleibt bei dieser sogenannten ethnografischen Forschung immer, das Vertrauen der anderen Personen zu gewinnen, damit diese offen sind. Ebenfalls kritisch ist die Frage, ob die Leute sich so verhalten, wie sie sich verhalten würden, wären die Medienforscher nicht dabei. Ein wenig überraschendes Ergebnis kann Schröter aber schon berichten: "Es gibt nie genug Rechenpower, nie genug Geld."

Forschung mit KI über KI

Drittens setzt das Projektteam selbst KI ein: "Wir, besonders Herr Sudmann und Herr Retkowski, arbeiten an Systemen, mit denen wir Daten für die KI-Forschung analysieren können", sagt Schröter. Gewissermaßen Forschung mit KI über KI. Vielleicht verschafft das der Arbeit einen wichtigen Zeitgewinn: "Eine große Herausforderung in unserem Projekt ist die schnelle Entwicklung", schildert der Forscher. "Gerade, wenn wir etwas verstanden haben, ist es schon wieder total out."

Gerade, wenn wir etwas verstanden haben, ist es schon wieder total out. 

Jens Schröter

Ähnliches haben die Projektbeteiligten bei den untersuchten Disziplinen festgestellt. "Auch dort sind die KI-Systeme nicht nur Werkzeuge, sondern Gegenstände der Beobachtung", berichtet Schröter. Haben andere Gruppen vielleicht eine bessere KI? Lohnt es sich, die KI in meine Routinen einzubauen? "Das ist generell so bei neuen Systemen, aber hier ist die Veränderlichkeit besonders hoch", ordnet der Medienforscher ein.

Ein Büro als Sinnbild

Seit zehn Jahren lehrt und forscht Schröter jetzt schon an der Uni Bonn. Nur wenige Dutzend Meter vom Rhein entfernt liegt sein Büro, in einem auffällig blau-grün gekachelten Bau mit Blick auf den Bonner Hofgarten. "Sieht fast wie gepixelt aus", sagt Schröter, und fügt hinzu: "Wie passend!" Gegenüber steht das Arithmeum, eine bedeutende Sammlung alter Rechenmaschinen. "Auch das passt gut zur Medienwissenschaft", findet der Professor. Nicht weit entfernt liegen das Café Orange und die KostBar, in der der Forscher mit seinen Kolleg:innen gern mittags eine Suppe isst. In seinem Büro selbst geht es eher schlicht zu. Die fast einzige Deko sind Schröters Publikationen im Regal. Auf dem gebogenen Schreibtisch fällt der vertikal ausgerichtete Bildschirm ins Auge, daneben steht eine graue Sitzgruppe aus einer Couch und vier Sesseln. Von draußen dringt Straßenlärm herein, aber auch die lebendige Atmosphäre der Studierenden.

Collage: Ein Fleischwolf verwandelt kulturelle Elemente in Textnachrichten.

KI Tools, wie Large Language Models, wirken oft unheimlich – als könnten sie denken, träumen oder halluzinieren. Doch im Kern sind sie nur "Informationsfleischwölfe": Sie zerkleinern Worte, Ideen und Bilder aus dem Internet und setzen sie neu zusammen. Weitere Informationen unter betterimagesofai.org.

Dieses Büro ohne viele Ablenkungen inmitten des aufgeregten Bonner Stadtzentrums, die benachbarten Rechenmaschinen, die ermuntern, Parallelen in der Vergangenheit zu suchen – all das erscheint wie ein Sinnbild für die Haltung des Medienforschers Schröter. Ob sich Jugendliche in KI-Bots verlieben werden, und wie autonome Autos die Mobilität verändern werden, das finde er schon spannend. Aber die größte Aufregung, die Sorge, dass KI massenhaft Arbeitsplätze vernichten könnte, sind für Schröter "nur eine weitere Episode der Weber-Aufstände". Um Arbeitsplätze dürfte es aus Sicht des Medienwissenschaftlers in der Forschung allerdings weniger gehen: "Neue Ideen zu entwickeln, ist bislang nicht die Stärke der KI, auch wenn es in Einzelfällen schon verblüffende Ergebnisse gab."

Technische Revolutionen verändern nicht die Grundlagen des Lebens

Bezogen auf den aktuellen Hype verweist Schröter auf die Geschichte: "Jedes Mal, wenn es eine neue Technologie gibt, schreien die einen rum, dass das Paradies anbricht, und die anderen, dass die Welt untergeht. Das war beim Radio so, und auch beim Fernsehen, beim Internet und jetzt bei der KI." Technische Revolutionen würden die Welt nicht grundlegend verändern: "Wir werden auch morgen noch lieben, Steuern zahlen und leider auch Kapitalismus haben."

Und so lässt sich Schröters Zwischenfazit nach drei Jahren Projektarbeit nicht nur auf die Forschung, sondern auch auf die Gesellschaft beziehen: "Es gibt nicht die KI-Revolution. Und das ist schon ein großes Ergebnis."

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