Politik und Reichtum: eine Allianz mit Schieflage?

Autorin: Malene Hummel

Illustration: Reproduktion von Reichtum

Eine kleine, reiche Minderheit wird immer wohlhabender. Eva Wegner und Miquel Pellicer fragen: Wie trägt die Politik zur wachsenden ökonomischen Ungleichheit bei – und wessen Interessen vertreten Abgeordnete tatsächlich?

Die Entwicklung von Spitzeneinkommen und Privatvermögen hängt eng mit politischen Entscheidungen zusammen. Und diejenigen, die über Gesetzgebung entscheiden, verfügen in der Regel über mehr Reichtum und Privilegien als der Durchschnitt ihrer Wählerschaft. Vertreten Politiker:innen die oberen Einkommensgruppen – zu denen sie selbst zählen – besser als andere? Und wenn ja: Welche persönlichen und finanziellen Hintergründe haben Abgeordnete, die vermögensfördernde Politik machen?

Diese Fragen stellen sich Prof. Dr. Eva Wegner und Prof. Dr. Miquel Pellicer seit Anfang 2024 in ihrem internationalen Forschungsprojekt Politicians, Policies and the Reproduction of Wealth. Von der Universität Marburg aus leiten die Politikwissenschaftlerin und der Ökonom ein interdisziplinäres Team aus Expert:innen der Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, das an Standorten in Brasilien, Großbritannien, Südafrika und Deutschland arbeitet.

Sieht man sich die Entwicklung von Ungleichheit an, findet man vor allem viel Bewegung an der Spitze.

Miquel Pellicer

Wachsende Konzentration von Reichtum

Die Entwicklung von Reichtum zeigt klar, wie wichtig ihr Thema ist. Weltweit konzentriert sich Reichtum in den letzten Jahrzehnten zunehmend bei einer kleinen Gruppe von Personen. Die wachsenden Unterschiede in den Lebensbedingungen führen in vielen Gesellschaften zu sozialen und wirtschaftlichen Spannungen und stellen Länder vor große Herausforderungen.

"Sieht man sich die Entwicklung von Ungleichheit an, findet man vor allem viel Bewegung an der Spitze", erklärt Miquel Pellicer. In Deutschland und anderen westlichen Ländern hat sich innerhalb der Mittelschicht nicht viel verändert – die Unterschiede zwischen besser und schlechter Verdienenden in dieser Gruppe bleiben ähnlich. Doch der Abstand zu den sehr reichen Menschen wird immer größer, weil ihr Vermögen in den letzten Jahrzehnten besonders stark gewachsen ist. Und wenn die Ungleichheit sehr groß ist, weil die Reichen immer reicher werden, sagt Miquel Pellicer, dann steigt die Gefahr, dass diese Menschen die Politik mitbestimmen

Wir sehen aktuell in vielen Ländern, dass Politik immer mehr von Wohlhabenden beeinflusst wird.

Eva Wegner

"Wir sehen aktuell in vielen Ländern, dass Politik immer mehr von Wohlhabenden beeinflusst wird. Ärmere Menschen hingegen haben einen viel schwächeren Einfluss", bestätigt Eva Wegner. Demokratie habe aber den Anspruch von Gleichheit. "Und wenn dieser Anspruch nicht gilt, dann werden Bürger:innen desillusioniert, gehen nicht wählen oder wählen vielleicht auch Parteien, die demokratiefeindlich sind", erklärt sie weiter. Eine entscheidende Rolle dabei spielt, dass die Politik die Interessen oberer Einkommensgruppen tendenziell immer besser bedient, so die Forschungshypothese von Wegner und Pellicer.

"Unser Ziel ist es, die politischen Mechanismen hinter der ökonomischen Ungleichheit besser zu verstehen", so Eva Wegner. Konkret geht es um Steuergesetzgebung, wie beispielsweise Unternehmenssteuer, Erbschaftssteuer oder Kapitalertragssteuer.

Reichtums- statt Armutsforschung

Mit ökonomischer Ungleichheit beschäftigen sich die beiden schon lange. Schon vor ihrer Zeit an der Universität Marburg, wo Eva Wegner den Arbeitsbereich Vergleichende Politikwissenschaft und Internationale Entwicklungsstudien am Institut für Politikwissenschaft leitet und Miquel Pellicer eine Professur für Ungleichheit und Armut am Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung innehat, arbeiteten sie an den gleichen Forschungsstandorten zusammen.

Portrait einer Frau

Eva Wegner ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Marburg.

Sie lernten sich in Italien während der Promotion kennen und lehrten und forschten danach in Berlin, New Haven, Rabat, Barcelona, Kapstadt, Hamburg, Duisburg, und Dublin. Dort untersuchten sie Ungleichheit mit einem Fokus auf das politische Verhalten ärmerer Menschen, wobei ihr Hauptaugenmerk auf dem Globalen Süden lag. "Unser Schwerpunkt war bislang immer, auf die untere Seite der Verteilung zu schauen", so Eva Wegner. Extreme Armut, erklärt sie, wurde in den letzten Jahrzehnten erfolgreich verringert.

Die Ungleichheit wächst trotzdem, nach oben sozusagen, und es gibt sie im Globalen Norden wie im Süden. Um diese Ungleichheit besser zu verstehen, sagt Miquel Pellicer, "muss man sich mit den Entwicklungen an der Spitze der Verteilung beschäftigen – mit dem, was die Reichen immer reicher werdenden lässt".

Ein Ziel, das auch die VolkswagenStiftung verfolgt. Mit der Förderinitiative Perspektiven auf Reichtum, durch die das Projekt von Eva Wegner und Miquel Pellicer finanziert wird, regt die Stiftung einen Perspektivwechsel an: Von der Armutsforschung hin zu den vielen Facetten des Phänomens Reichtum.

Portrait eines Mannes

Miquel Pellicer ist Professor für Ungleichheit und Armut am Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung der Universität Marburg

Warum begünstigen Abgeordnete reiche Menschen?

"Empirisch wurde schon oft gezeigt, dass verabschiedete Gesetze und Reformen in vielen Ländern eher den Präferenzen Wohlhabender entsprechen", sagt Miquel Pellicer. Dies wurde beispielswese in den USA, Deutschland, Spanien aber auch Norwegen und Schweden nachgewiesen. Betroffen sind ganz unterschiedliche Themenbereiche: Außenpolitik, Abtreibungsrecht, aber eben auch Sozial- und Steuerpolitik. Warum das so ist, ist noch nicht klar – und hier setzt das Projekt an.

„Es gibt Menschen, die über großen Immobilienbesitz verfügen und gleichzeitig über Grundsteuer und Mietpreisbremsen entscheiden.“

Eva Wegner

Es gibt verschiedene Annahmen: Politiker:innen gehören meist selbst zum wohlhabenden Teil der Gesellschaft. Ihre biografische Prägung dürfte ihnen ein bestimmtes Bild davon vermittelt haben, wie die Welt funktioniert. Nur ein geringer Anteil hat vermutlich erlebt, wie es ist, mit wenig Geld auskommen zu müssen. Zum anderen betreffen die politischen Reformen, die sie verabschieden, auch sie selbst. "Immobilien sind zum Beispiel weltweit eine klassische Geldanlage – auch unter Abgeordneten", erklärt Eva Wegner. "Es gibt also Menschen, die über großen Immobilienbesitz verfügen und gleichzeitig über Grundsteuer und Mietpreisbremsen entscheiden".

Es sind bestimmte Eigenschaften von Abgeordneten, insbesondere ihre Herkunft, ihre finanziellen Interessen und ihre Netzwerke, für die sich das Forschungsteam interessiert. Die Kernfragen: Sind diese Merkmale der Auslöser für das Ungleichgewicht in der Politikgestaltung? Treffen Politiker:innen vermögensfördernde Entscheidungen, weil sie ein bestimmtes Weltbild verinnerlicht haben – oder weil sie finanzielle Eigeninteressen verfolgen?

Breiter Überblick und tiefer Einblick

Das Projekt ist eine Kombination aus breitem Überblick und tiefem Einblick. Ein breiter Überblick, da das Forschungsteam Merkmale von Wirtschafts- und Finanzminister:innen für 50 demokratische Länder erhebt und analysiert. Dazu zählen z. B. biografische Daten oder Mitgliedschaften in Unternehmensvorständen. "Diese Daten bringen wir in Zusammenhang mit vermögensrelevanten politischen Entscheidungen, die in diesen Ländern zwischen 2005 und 2020 verabschiedet wurden", erklärt Miquel Pellicer.

Neben diesem quantitativen Ansatz bieten Fallstudien einen tiefen Einblick. In den vier Projektländern Brasilien, Deutschland, dem Vereinten Königreich und Südafrika sammeln und analysieren die Forschenden verschiedene Daten von Abgeordneten und steuerpolitischen Reformen. "Das Erste, was uns interessiert, sind die Informationen, die aus den Offenlegungen von Nebeneinkünften stammen", sagt Eva Wegner und erklärt dabei auch, dass in Deutschland im Vergleich am wenigsten Transparenz gegeben ist. Hier müssen Abgeordnete nicht einmal offenlegen, ob sie Immobilien besitzen. Und auch beim Thema Aktienbesitz seien Politiker:innen in Großbritannien, Südafrika und Brasilien zu mehr Transparenz verpflichtet als hierzulande. Neben den Offenlegungen werden ihre Sozialcharakteristika unter die Lupe genommen: Haben sie studiert? Wenn ja: was? Haben sie eine Ausbildung gemacht?

"Diese Eigenschaften bringen wir in Verbindung mit ihren Positionen im Parlament, die sie in Reden und Fragen äußern", so Eva Wegner. "Uns interessiert, ob unterschiedliche persönliche Charakteristika zu spezifischen Standpunkten in der Steuerpolitik führen – unabhängig von der Parteizugehörigkeit." Ein anschauliches Beispiel sei Brasilien. Dort haben alle Abgeordneten das Recht, Änderungsanträge zu Gesetzesentwürfen einzubringen – und machen davon rege Gebrauch. "Wir können dort gut nachvollziehen, ob jemand Änderungsanträge für einen Bereich stellt, zu dem er biografische oder finanzielle Verbindungen hat."

In den Fallstudien schaut sich das Projektteam außerdem die Netzwerke von Politiker:innen an, die bei vermögensrelevanten Gesetzen besonders einflussreich oder besonders aktiv sind. Dazu zählen zum Beispiel Vereinsmitgliedschaften, aber auch die Quellen von Parteispenden. "Wir haben entschieden, Social Media Profile und Boulevardpresse nicht als Quelle einfließen zu lassen, auch wenn dort die Verbindungen zu vermögenden Geschäftsleuten oder Lobbyisten gut erkennbar sein könnten", so Wegner. "Wir verwenden nur, was belegbar ist und nicht die Persönlichkeitsrechte der Abgeordneten verletzt." Dazu zählen: eigene Websites, seriöse Zeitungsberichte, Interviews, parlamentarisches Verhalten und Anwesenheiten oder Reden bei Events.

Illustration eines Mannes in einer Badewanne mit Geld

Jetzt gerade plant das Projektteam, die Analyse von Netzwerken zu erweitern. Bald wollen sie nicht mehr nur untersuchen, mit wem Politiker:innen interagieren, sondern auch, wie sie und andere Personen in ihren Netzwerken über bestimmte Themen sprechen. "Letztlich interessiert uns, ob es Netzwerke von verschiedenen Akteuren gibt, die auf ähnliche Weise über bestimmte Dinge sprechen und dadurch dieselben Legitimationsmuster und Argumentationslinien vorantreiben", erklärt Miquel Pellicer. Hinter der Analyse von Netzwerken steht selbst ein Netzwerk – gut eingespielt und über vier Länder hinweg organisiert.

Vier Länder, aber nur eine Suppe

Neben Miquel Pellicer und Eva Wegner arbeiten 16 Personen an dem Projekt mit. Sie sitzen an der Fundação Getulio Vargas in São Paulo, der University of Strathclyde in Glasgow, der University of Cape Town und der Philipps-Universität Marburg.

"Bei solchen internationalen Projekten ist es häufig so, dass jeder im eigenen Land das Gleiche untersucht, also sozusagen erstmal eine eigene Suppe kocht, und anschließend werden die Ergebnisse zusammengeworfen", erklärt Eva Wegner. "Wir arbeiten hingegen extrem verzahnt; nicht nach Ländern, sondern nach Projektbausteinen". Das Team ist multidisziplinär aufgestellt: die Jurist:innen in Brasilien untersuchen Politiker:innen-Netzwerke in allen vier Ländern. In Südafrika arbeiten die Ökonom:innen, die sich mit der Auswirkung von Steuergesetzen auf die Verteilung von Reichtum beschäftigen. Im Vereinten Königreich analysieren Politikwissenschaftler:innen die Profile von Politiker:innen. "Und wir hier in Marburg, widmen uns vor allem der Frage, wie vermögensfördernde Gesetze entstehen."

Gruppenfoto

Projekttreffen in Kapstadt: Das internationale Forschungsteam um Miquel Pellicer (unten 1. v. l.) und Eva Wegner (mitte 2. v. r.) 

Seit dem Start des Projekts ist etwas mehr als ein Jahr vergangen. Ein Jahr, in dem zunächst viele Grundlagen für die gemeinsame Forschung an den vier Standorten geschaffen werden mussten.

Politische Karrieren und profitable Entscheidungen

Inzwischen liegen erste Ergebnisse vom breiten Überblick der Untersuchung vor – für 30 der insgesamt 50 Länder in der Erhebung. "Finanzminister:innen, die vor Ihrer politischen Laufbahn im Finanzwesen oder der Unternehmenswelt gearbeitet haben, senken tendenziell die Kapitalertragssteuern", fasst Eva Wegner die vorläufigen Ergebnisse zusammen. Davon profitieren vor allem reiche Menschen mit Aktien oder hohen Zinserträgen.

Und das, ergänzt Miquel Pellicer, "gilt auch für Finanzminister:innen, die erst nach ihrer Amtszeit im Finanzsektor oder Unternehmen Fuß fassen." Wenn Finanzminister:innen zugunsten wohlhabender Bevölkerungsgruppen handeln, könne das zu einer belohnenden Drehtür führen – dem Wechsel von der Politik in lukrative Positionen in der Wirtschaft. Amtierten hingegen Finanzminister:innen, die vor ihrer politischen Karriere andere Berufe hatten, beispielsweise im öffentlichen Dienst tätig waren, kam es zu weniger Steuererleichterungen zugunsten von Wohlhabenden. Noch bis Ende 2027 will das Projektteam solchen Zusammenhängen auf den Grund gehen – und dabei eine Debatte anstoßen, die bislang kaum geführt wird.

"Wir wollen Transparenz schaffen"

Mit ihrem Projekt wollen Eva Wegner und Miquel Pellicer Transparenz schaffen – denn nur wenn politische Prozesse nachvollziehbar sind, kann Macht kontrolliert und Vertrauen in die Demokratie langfristig erhalten bleiben. "Unser Ziel ist es, politische Mechanismen hinter wachsender Ungleichheit offenzulegen – und damit jenen, die für mehr Transparenz kämpfen, Wissen an die Hand geben", antwortet Eva Wegner auf die Frage, wem die Forschungsergebnisse nützen sollen. Dazu zählt die NGO Abgeordnetenwatch und vergleichbare zivilgesellschaftliche Organisationen in Südafrika, Brasilien und Großbritannien, zu denen das Projektteam bereits Kontakt pflegt.

Unser Ziel ist es, politische Mechanismen hinter wachsender Ungleichheit offenzulegen.

Eva Wegner

Außerdem plant das Forschungsteam eine interaktive Website, auf der sich Informationen über Politiker:innen nicht nur abrufen, sondern auch vergleichen lassen – etwa nach Partei oder beruflichem Hintergrund. Bürger:innen sollen sich selbst ins Verhältnis setzen können: Geplant ist, dass sie ihr eigenes Einkommen eingeben und dann sehen können, wie der Verdienst von Abgeordneten im Vergleich ist. Oder sie wählen eine bevorzugte Steuerrate – und vergleichen sie mit dem Abstimmungsverhalten von Politiker:innen. So soll Politik weniger abstrakt wirken – und verständlicher werden, wo die eigenen Interessen im Verhältnis zur politischen Realität stehen, die (zumindest heute) häufig dazu beiträgt, dass sich Reichtum immer weiter konzentriert.

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