102-mal Forschung zu Corona – Förderangebot der VolkswagenStiftung stößt auf großes Echo

Die COVID-19-Pandemie stellt auch die Wissenschaft vor große Herausforderungen und neue Fragen. Mit ihrem Förderangebot "Corona Crisis and Beyond" reagierte die Stiftung bereits im Mai und bot Forschenden in allen Disziplinen Unterstützung. Nun wurden 102 Projekte bewilligt – 1.105 Anträge waren eingegangen. Insgesamt stellt die Stiftung einen Gesamtbetrag von 11,7 Mio. Euro zur Verfügung.

Knapp die Hälfte der bewilligten Projekte (49) kommt aus den Gesellschaftswissenschaften, jeweils 18 aus den Lebens- sowie Technik- und Naturwissenschaften, 17 aus den Geisteswissenschaften. Die Forschenden erhalten jeweils bis zu 120.000 Euro für max. 18 Monate. Mit diesen "Small Grants" wird es möglich, viele der Fragen, die sich als Folgen der Pandemie für Wissenschaft und Gesellschaft stellen, in Einzel- oder Kooperationsprojekten zu bearbeiten. Das Spektrum der bewilligten Projekte reicht von neuen Verfahren für Schnelltests bis hin zu sprachwissenschaftlichen Untersuchungen von Verschwörungstheorien. 

Für die Begutachtung und Empfehlung wurden rund 60 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewonnen. 21 von ihnen sind Mitglieder der Jungen Akademie, drei kommen vom Zukunftskolleg der Universität Konstanz, die übrigen wurden frei gewählt, befanden sich jedoch meist in einer ähnlichen Karrierephase. "Dieses Verfahren bietet Chancen für beide Seiten: Die jungen Forschenden erhalten die Möglichkeit, in der Begutachtung Erfahrungen zu sammeln und können ihre Perspektive einbringen ‒ und wir sehen Projekte aus einem frischen Blickwinkel", sagt Dr. Georg Schütte, Generalsekretär der VolkswagenStiftung.

"Dieses einmalig ausgeschriebene Förderangebot sollte nicht nur genutzt werden, um Erkenntnisse zu gewinnen, die unmittelbar zur Bewältigung der Pandemie beitragen. Einige Vorhaben versprechen Impulse, um mittel- bis langfristig große gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen, die sich bislang erst langsam abzeichnen", so Dr. Henrike Hartmann, Leiterin der Förderabteilung. "Mit dieser Ausschreibung haben wir offenbar einen Nerv getroffen. Aufgrund der großen Zahl eingegangener Anträge und ihrer hohen Qualität haben wir die ursprünglich eingeplanten Fördermittel in Höhe von vier Mio. Euro aufgestockt auf die nun bewilligten 11,7 Mio. Euro."

Im Folgenden werden vier Projekte beispielhaft vorgestellt:

  • Rapid and Sensitive Sars-CoV-2 Test with a Smartphone (120.000 Euro)

Dr. Irene Fernandez-Cuesta, Prof. Arwen Pearson, beide Institut für Nanostruktur- und Festkörperphysik, Universität Hamburg; Dr. Neus Feliu, Zentrum für angewandte Nanotechnologie und Universität Hamburg; Prof. James Holton, School of Medicine, University of California San Francisco (USA)

Schnelltests spielen beim Eindämmen einer Pandemie mit asymptomatischer Verbreitung wie aktuell bei SARS-CoV-2 eine große Rolle. Jedoch birgt die große Menge an benötigten Tests viele Risiken: Herkömmliche Probenentnahmen gehen mit einem Infektionsrisiko für medizinisches Personal einher, der Verwaltungsaufwand ist groß, die Herstellung ist komplex und teuer, in Entwicklungsländern fehlt zudem die Infrastruktur für die Verbreitung der Tests. Deshalb will das Projektteam ein schnelles und empfindliches Testsystem auf Basis eines günstigen Plastikchips entwickeln, dessen Sensor die Fluoreszenz-Energieübertragung nutzt. Das Ergebnis soll per Smartphone ausgelesen werden können; auch ungeschulte Nutzerinnen und Nutzern sollen den Test nach dem Ansehen eines kurzen Erklärvideos nutzen können.

  • Inductively Heatable Protective Films to Combat COVID-19 (120.000 Euro)

Prof. Dr. Karl Mandel, Department Chemie und Pharmazie, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

Um Schmierinfektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus zu vermeiden, werden Kontaktflächen im öffentlichen Raum mithilfe von Desinfektionsmitteln behandelt. Kritische Punkte sind hier das ordentliche Aufbringen der Mittel, der Schutz der Reinigungskräfte sowie die fachgerechte Entsorgung der verwendeten Materialien. Viren können aber auch durch Hitze unschädlich gemacht werden. Deshalb prüft Prof. Dr. Karl Mandel ein alternatives Verfahren, das sich der Induktion bedient. Dazu will er eine Silikonschicht mit synthetischen Magnetpartikeln entwickeln, die ohne großen Aufwand auf Oberflächen wie etwa Türklinken angebracht werden kann. In dem nun zu prüfenden Verfahren wird ein mobiler Induktor über diese entsprechend präparierte Oberfläche geführt, um die enthaltenen Magnetpartikel für den Bruchteil einer Sekunde lokal zu erhitzen und so die Viren auf der Oberfläche abzutöten, während das darunterliegende Material unbeschädigt bleibt. 

  • Transforming the "Grammar of Schooling”: Hybrid Learning Environments for the Digital Knowledge Society (120.000 Euro)

Jun.-Prof. Dr. Britta Klopsch, Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik, Karlsruher Institut für Technologie; Prof. Dr. Anne Sliwka, Institut für Bildungswissenschaften, Heidelberg Universität

Die Corona-bedingten Schulschließungen während des Frühjahrs haben gezeigt, dass das deutsche Schulsystem trotz Entwicklungsplänen bisher nicht an die digitale Wissensgesellschaft angepasst ist. Die "Grammatik der Schule", also die Art und Weise, wie Schulen funktionieren, wird nach wie vor als geschlossene Umgebung gelebt. Forschungen zeigen jedoch, dass Lernumgebungen mehr zum Wissenserwerb beitragen, wenn digitale und reale Räume außerhalb der Schule in das Lernen im Klassenzimmer einbezogen werden und so "hybride Lernumgebungen" entstehen. Ziel des Projektes ist es, ein Modell zu entwickeln, das Schulen als Werkzeug beim Übergang in eine hybride Lernumgebung nutzen können. Dazu führen die Forschenden u.a. Interviews mit Schulrektoren sowie Bildungswissenschaftlern aus Neuseeland, Australien und Kanada, die umfangreiche Erfahrungen in hybriden Lernumgebungen haben.

  • Values in Crisis – a Crisis of Values? Moral Values and Social Orientations under the Imprint of the Corona Pandemic (119.500 Euro)

Prof. Dr. Jan Delhey, Institut für Gesellschaftswissenschaften/Bereich Soziologie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg; Dr. Franziska Deutsch, Bremen International Graduate School of Social Sciences, Jacobs University Bremen; Dr. Jan Eichhorn, School of Social and Political Science, University of Edinburgh (Großbritannien) 

Moralische Werte und soziale Orientierung gelten als relativ stabile Konstrukte, die sich nur langsam verändern. Ihre Ausprägung ist von großer Bedeutung dafür, wie Individuen beispielsweise zu Demokratie oder Populismus stehen. Die Corona-Pandemie bietet die Chance zu überprüfen, welche Auswirkungen ein plötzliches und tiefgreifendes Ereignis auf die moralischen Werte und sozialen Orientierungen hat. Dazu vergleicht das Projektteam mithilfe einer Langzeitstudie die Einstellungen von je 2000 Befragten in Großbritannien und Deutschland. Ausgewählt wurden die beiden Staaten, da sie aufgrund ökonomischer Parameter gut vergleichbar sind, sich in ihrem Umgang mit der Pandemie und deren Folgen jedoch sehr unterscheiden.

Hintergrund: Corona-Förderangebote der VolkswagenStiftung

Neben den enormen Herausforderungen für Gesundheitssystem und Gesellschaft, eröffnet die SARS-CoV-2-Pandemie unvorhergesehene Perspektiven für neue, disziplinenübergreifende Forschung. Die "Small-Grant"-Ausschreibung ist Teil einer umfangreicheren Initiative, mit der die VolkswagenStiftung die Forschung in diesem Kontext unterstützt. So konnten Forschende für aktuell von der Stiftung geförderte Projekte ein Zusatzmodul inkl. zusätzlicher Geldmittel beantragen, sofern Corona als Forschungsgegenstand eine sinnvolle Ergänzung zum bestehenden Projekt darstellte. Dieses Angebot endet zum Jahresende 2020. Zusätzlich wurde die Ausschreibung "Virale Zoonosen – Innovative Ansätze in der Wirkstoffentwicklung" initiiert; der erste Stichtag für die Einreichung von Anträgen war der 10. Dezember 2020. 

Weitere Informationen zur Initiative "Corona Crisis and Beyond – Perspectives for Science, Scholarship and Society" der VolkswagenStiftung