Forschung als Brücke: Niedersachsen feiert Partnerschaft mit Israel
#Internationales
Christian Burkert für VolkswagenStiftung
Zum Ende Veranstaltung diskutierten Georg Schütte (VolkswagenStiftung), Noam Adir (Technion), Thomas Thum (Unternehmer), Menahem Ben-Sasson (Hebräische Universität), Denise Hilfiker-Kleiner (Medizinische Hochschule Hannover) und Moderatorin Shelly Kupferberg (v.l.n.r.) über die Aussichten deutsch-israelischer Wissenschaftskooperation.
Vor 60 Jahren begann eine einzigartige wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel. Ein Festakt im Schloss Herrenhausen feierte am 15. September diesen Motor für Innovation und gegenseitiges Verständnis – und zudem den 100. Geburtstag von zwei israelischen Spitzenuniversitäten.
Es war ein Blick zurück nach vorn. Bei einer Veranstaltung unter dem Titel "Bridges of Knowledge" am 15. September im Schloss Herrenhausen wurde das 60-jährige Bestehen der "Wissensbrücken" zwischen Deutschland und Israel gefeiert. Im Mittelpunkt stand außerdem der besonders enge Kontakt zum Forschungsstandort Niedersachsen – und der 100. Geburtstag des Technion in Haifa sowie der Hebräischen Universität in Jerusalem.
Falko Mohrs, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur, nannte Israel einen wissenschaftlichen Partner und echten Freund: "Aus den Schatten der Vergangenheit ist eine enge Beziehung entstanden, die inzwischen seit sechs Jahrzehnten besteht und unzählige gemeinsame Ideen und Innovationen hervorgebracht hat." Ein weiterer tiefer Schatten sei durch die Gräueltaten des 7. Oktober vor fast zwei Jahren auf Israel gefallen. Mohrs war danach zweimal in Israel. Niedersachsen entschied sich, die Zusammenarbeit zu vertiefen und auszuweiten. "Für uns ist klar: Diese Partnerschaft hat Zukunft – sie bleibt ein Grundpfeiler unserer internationalen Wissenschaftsbeziehungen."

Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs würdigte in seinem Grußwort die mehr als sechs Jahrzehnte andauernden niedersächsisch-israelischen Beziehungen.
Wissenschaft als Brückenbauerin
Auch rund um diese Veranstaltung gab es antiisraelische Proteste. Georg Schütte, Vorstand der VolkswagenStiftung, nahm in seinem Grußwort indirekt auch dazu Bezug: "Politische Themen sollten auf der politischen Bühne gelöst werden. Unsere Aufgabe ist es, Räume zu erhalten für einen offenen Dialog." Denn Wissenschaft könne helfen, eine Basis zu finden für Lösungen und, um Brücken zu bauen.
Die Brücke zwischen den Forschenden in Deutschland und Israel wurde schon 1963 gebaut. Noch vor der offiziellen Aufnahme diplomatischer Beziehungen bewilligte die VolkswagenStiftung hohe Fördersummen an israelische Forschungsinstitute. Seit 1977 besteht zudem die Förderlinie "Forschungskooperation Niedersachsen – Israel" im Programm zukunft.niedersachsen. Die geförderten Projekte reichen dabei von den Geistes- über die Lebens- bis zu den Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Michael Baror verantwortet den Bereich "Wissenschaft und Wirtschaft" in der israelischen Botschaft in Berlin.
Man könne die Bedeutung der Wissenschaft für Israel gar nicht hoch genug bemessen, sagte Michael Baror, Leiter der Abteilung für "Wissenschaft und Wirtschaft" in der israelischen Botschaft in Berlin. Er bezeichnete den Festakt als einen hoffnungsvollen Moment in fordernden Zeiten. Und betonte: "Diese beiden Universitäten wurden gegründet, weil ihre Gründer der Überzeugung waren, dass ein Staat nur vollständig ist mit Universitäten, mit Wissenschaft und Forschung."
Erst die Universitäten, dann der Staat
Noam Adir, Vizepräsident für Forschung am Technion in Haifa, erläuterte die Meilensteine seiner Universität. Die ersten Ideen gab es in Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts, heute ist es ein Ort der internationalen Spitzenforschung mit mehr als 15.000 Studierenden. Der Chemiker Adir zeigte sich besonders stolz über die vier Nobelpreisträger in Chemie, die das Technion hervorgebracht hat. Die Einrichtung gehört zu den 100 besten Universitäten der Welt und hat Dependancen in Guangdong (China) und in New York (USA) eröffnet.
Auch Menahem Ben-Sasson, Kanzler der Hebräischen Universität in Jerusalem, blickte in seinem Vortrag auf die Gründungsgeschichte. Der Heidelberger Wissenschaftler Hermann Schapiro habe schon auf dem 1. Zionistischen Kongress 1897 in Basel gefordert: "Wir müssen mit Bildung anfangen." Ben-Sasson erzählte von Gesprächen im Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts, von Albert Einstein, der zum Fundraising in die USA fuhr. Er lobte den Entrepreneur-Geist an israelischen Unis. Und ergänzte: "Wir sind nicht nur die Start-up-Nation, wir sind eine Wissenschaftsnation. Und unsere Universitäten waren das Start-up für die Start-up-Nation".

"Wir sind nicht nur die Start-up-Nation, wir sind eine Wissenschaftsnation. Und unsere Universitäten waren das Start-up für die Start-up-Nation", sagte Ben-Sasson, Kanzler der Hebräischen Universität.
Aus einer E-Mail wird eine Forschungs-Freundschaft
Aber wie sieht so eine Zusammenarbeit von Forschenden aus Deutschland und Israel aus? Davon berichtetenArmin Feldhoff von der Leibniz Universität Hannover und Meirav Mann-Lahav vom Technion in Haifa bei der ersten Podiumsdiskussion des Abends. Die Chemikerin aus Israel suchte einen Forschungspartner, fand bei der Recherche die Arbeiten von Feldhoff vom Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie, schrieb eine E-Mail – und kurze Zeit später saßen sie zusammen in einem Besprechungsraum in Hannovers Nordstadt. Aus einer E-Mail wurden jahrelange Projekte etwa zur Untersuchung von thermoelektrischen Eigenschaften von Materialien wie Calcium-Kobalt-Oxid und der Verbesserung des Materialtransports in keramischen Membranen. Daraus sind sechs gemeinsame Publikationen entstanden.
"Wir konnten Dinge entwickeln, die keiner allein geschafft hätte", sagte Feldhoff. Doch natürlich sei das kein Selbstläufer. Vertrauen, Geduld und Resilienz – benannten die beiden Forschenden die Attribute, die eine solche Zusammenarbeit neben dem Wissen und der Förderung eben auch braucht.

Diskutierten die Möglichkeiten und Herausforderungen von Kooperationsprojekten: Prof. Dr. Armin Feldhoff, Meirav Mann-Lahav, Shimshon Belkin, Timur Sevincer und Moderatorin Shelly Kupferberg (v.l.n.r.).
Shimshon Belkin kann als Umweltmikrobiologe der Hebräischen Universität auf Jahrzehnte von Kooperationen zurückblicken. "Ich habe in meiner Laufbahn viele Themen bearbeitet. Wenn es eine Kontinuität gibt, dann ist es die Zusammenarbeit mit deutschen Forschenden." Belkins Schwerpunkt liegt auf Biosensoren. Mit genetisch veränderten Mikroorganismen lassen sich so etwa Schadstoffe entdecken. Doch die Forschung sei wenig wert ohne Geräte, die sie anwendbar machen. Und hier kommt die Zusammenarbeit mit deutschen Hochschulen ins Spiel: "Die Israelis machen Biologie, die Deutschen liefern Technologie", sagte Belkin. Die Erfolgsformel? Es brauche das beiderseitige Interesse an dem Projekt, Respekt und ausreichende Förderung. "Dann entstehen schnell Freundschaften, und das führt zu weiterer Forschung."
Ein Projekt gegen Vorurteile
Die Themen der Wissenschafts-Kooperationen beschränken sich längst nicht nur auf den MINT-Bereich. Der Psychologe Timur Sevincer von der Leuphana Universität Lüneburg berichtete auf dem Podium, wie aus einer Idee ein vom Ministerium und der VolkswagenStiftung gefördertes Projekt wurde. Denn unter seiner Leitung widmet sich ein internationales Forschungsteam dem israelisch-palästinensischen Konflikt.
In dem Projekt aus dem Bereich der Interventionspsychologie arbeiten Forschende der Universität Jerusalem, der Humboldt-Universität Berlin und der University of California zusammen zu den komplexen Dynamiken des Konflikts und wollen Ansätze für eine Deeskalation und verbesserte Kommunikation entwickeln. "Ich habe das Projekt bei einer Veranstaltung mit Studierenden vorgestellt und gefragt, wer mitmachen will", sagte Sevincer. Ein iranischer Student habe sich sofort gemeldet, er hat Sevincer zur Jubiläumsveranstaltung begleitet. Und zudem arbeitet ein Student mit palästinensischen Wurzeln am Projekt mit, dessen Großvater im israelischen Unabhängigkeitskrieg aus dem heutigen Israel fliehen musste.
Forschung als sozialer Akt
Forschung ist immer auch der Blick in die Zukunft. Bei der direkt anschließenden zweiten Podiumsdiskussion standen die "Perspektiven und Aussichten der deutsch-israelischen Forschungskooperation" im Mittelpunkt. Ben-Sasson von der Hebräischen Universität Jerusalem bezeichnete Deutschland als die "engsten Nachbarn" bei der Forschung. "Ich habe Jahre darauf verwendet, um andere zu überzeugen: Deutschland ist näher als die Westküste der USA", sagte Ben-Sasson, und lachte. An die Verantwortlichen, etwa auch in anderen Bundesländern, richtete er den Appell: Es gebe etwa mit der Forschungskooperation Niedersachsen – Israel wunderbare Vorbilder. "Sie können da gerne Copy/Paste machen", sagte er mit einem Lächeln.

Adir ist Vizepräsident für Forschung am Technion in Haifa, er hielt zunächst einen Impulsvortrag und beteiligte sich später an der abschließenden Paneldiskussion.
Seine Nachbarin auf dem Podium nickte zustimmend. Denise Hilfiker-Kleiner, Präsidentin der Medizinischen Hochschule Hannover, berichtete dann, dass sie selbst zweimal mit einer Gruppe in Haifa am Technion zu Besuch war. Teil der Reisegruppe war auch Thomas Thum, Gründer und Geschäftsführer von CardioR, einem Unternehmen, das sich auf die Entdeckung und Entwicklung von Therapien spezialisiert hat, die mit Hilfe von RNA Herzkrankheiten vorbeugen, reparieren und umkehren sollen. "Ich denke, der Studierenden-Austausch ist einer der Schlüssel für den zukünftigen Erfolg", sagte Thum. Der Forscher und Unternehmer war besonders beeindruckt von der Zahl und Qualität der Ausgründungen an israelischen Universitäten. Thum: "Von diesem Entrepreneur-Geist können wir einiges lernen."
Adir vom Technion erzählte zum Ende des Abends, wie seine Kolleginnen und Kollegen im Alltag im Labor zusammenarbeiten, obwohl sie manche Arbeiten auch Zuhause oder allein durchführen könnten. Adir: "Wir Menschen sind soziale Wesen – wir wollen zusammenarbeiten." Für ein besseres Miteinander plädierte Adir auch für einen differenzierten Blick. "Es wäre sicher spannend für viele hier in Deutschland zu sehen, wie viele Diskussionen wir an israelischen Universitäten führen. Diese Diskussionen sind offen. Wir sind gerne bereit, auch kritisiert zu werden."