Neuer Anfang für die ukrainische Pharmaindustrie

Die Ukraine steht vor der Herausforderung, ihre Wirtschaft wieder aufzubauen. Ein neues Forschungsprojekt untersucht, wie sich das industrielle Erbe effektiv nutzen lässt, um die Pharmaindustrie zu modernisieren und in den europäischen Markt zu integrieren.
Die Ukraine steht am Scheideweg. Die Kriegsschäden sind enorm und der Wiederaufbau des Landes wird eine bedeutende Aufgabe sein, die Unterstützung erfordert. Eine zentrale Rolle könnte dabei der pharmazeutische Sektor spielen, der einst ein wichtiger Bestandteil der sowjetischen Versorgung war. Hier setzt das neue Forschungsprojekt "From Legacy to leadership: A Playbook to Rebuild Ukraine’s Pharmaceutical Industry in Partnership with the EU" von Prof. Dietmar Harhoff vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb an: mit dem Ziel, eine moderne und konkurrenzfähige Pharmaindustrie in der Ukraine zu entwickeln.
Industrielles Erbe strategisch nutzen
Trotz der großen Herausforderungen gibt es ein positives Potenzial im historischen Erbe der ukrainischen Pharmaindustrie, aus Zeiten der UdSSR: Über 70 Prozent der gesamten sowjetischen Forschungs-,Entwicklungs- sowie Produktionskapazitäten im Pharmabereich lagen in der Ukraine. Das deutsch-ukrainische Projektteam strebt nun an, dieses "industrielle Gedächtnis" zu nutzen, um die Grundlage für eine innovative und stabile Industrie zu legen. Diese soll nicht nur zur Stabilisierung der ukrainischen Wirtschaft beitragen, sondern auch die europäische Arzneimittelversorgung verbessern. In Zeiten globaler Unsicherheiten – sei es durch Pandemien oder geopolitische Spannungen – wäre dies ein wertvoller Beitrag zur Diversifikation und Widerstandsfähigkeit.
Vierstufiger Forschungsansatz
Das Projekt, das über 18 Monate läuft und an dem neben den MPI Forschenden auch zahlreiche Wissenschaftler:innen aus der Ukraine beteiligt sind, umfasst vier zentrale Arbeitspakete. Zu Beginn steht eine umfassende Sekundäranalyse der aktuellen und historischen Rolle der ukrainischen Pharmaindustrie. Wichtige Herausforderungen wie Produktionskapazitäten, Lieferkettenschwierigkeiten und technologische Defizite werden hierbei ebenso beleuchtet wie die rechtlichen Rahmenbedingungen.

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Im zweiten Schritt sollen Interviews mit Schlüsselakteur:innen aus der Ukraine und Europa die Bedürfnisse und Visionen von Stakeholder:innen herausfiltern. Dabei werden Synergien zwischen ukrainischen und europäischen Pharmaunternehmen untersucht. In Fallstudien wird insbesondere die Rolle von Start-ups hervorgehoben, um mögliche Wettbewerbsvorteile der Ukraine zu identifizieren.
Im dritten Paket liegt der Fokus auf der Attraktivität einer Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine im Pharmasektor. Politische Maßnahmen wie langfristige Beschaffungsverträge werden analysiert, um klare Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Schließlich sollen fundierte Politikempfehlungen für die Europäische Kommission entwickelt werden, die den (Wieder-)Aufbau des ukrainischen Pharmasektors unterstützen und langfristig die Integration der Ukraine in die EU fördern.
Mehr als ein Forschungsprojekt
Die Förderung durch die VolkswagenStiftung geschieht vor dem Hintergrund, dass die Nutzung des industriellen Erbes frühe Fortschritte in der Entwicklung der ukrainischen Pharmaindustrie verspricht. Die Harmonisierung der ukrainischen Arzneimittelgesetzgebung mit EU-Standards könnte zudem einen möglichen EU-Beitritt erleichtern. Das Max-Planck-Institut hat bereits tiefgreifende Vorarbeiten geleistet und sich durch Diskussionen zu kritischen Themen wie dem Zugang zu Medikamenten während des Krieges in der Ukraine ausgezeichnet.
"Das Forschungsprojekt bietet eine wertvolle Möglichkeit, den akademischen Dialog zu fördern und konkrete Schritte für eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln", erklärt Dr. Victoria Abakumovski, die zuständige Förderreferentin der VolkswagenStiftung. "Wir sehen darin nicht nur eine Möglichkeit der Unterstützung, sondern eine Chance, mit Wissenschaft, Wirtschaft und Politik eine neue Ära für die ukrainische Pharmaindustrie einzuleiten und diese effektiv in den europäischen Markt zu integrieren."