Mensch aus der Maschine?

Was der Weg zur 'perfekten' Künstlichen Intelligenz (KI) über uns aussagt. Autorin Theresa Hannig erläutert im Interview ihre Zukunftsvisionen und -bedenken.

"Im Guten wie im Schlechten? Mensch aus der Maschine" war der Titel der für den 24. April 2020 geplanten Science Movie Night im Xplanatorium in Herrenhausen, die nun leider ausfallen musste. Theresa Hannig war zur Diskussionsrunde über den Film "Ex Machina" eingeladen. Ein Kurzinterview mit der ebenfalls eingeladenen KI-Expertin Diana Serbanescu lesen Sie unter "Die Menschen befähigen, KI aktiv mitzugestalten".

Wird es menschenähnliche Wesen geben, und werden wir sie als nicht-menschlich erkennen können? (Foto: Aydinozon - stock.adobe.com)

Ihr Buch "Die Unvollkommenen" spielt im Jahr 2057 in einem Zustand der totalen Überwachung und wirft Fragen auf, die aktuell im Zuge der Maßnahmen gegen Corona auch diskutiert werden. Überrascht es Sie, wie nah wir uns im Jahre 2020 an Ihrer Vision bewegen?

Theresa Hannig: Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit der Zukunft beziehungsweise möglichen Zukünften und befürchte eine stetige Zunahme der staatlichen Überwachung. Dass eine Krise wie die Corona-Pandemie die Entwicklung aber so schnell vorantreiben würde, hätte ich bis vor kurzem nicht gedacht. Die vielen Überwachungs-Apps, die jetzt diskutiert und in einigen Ländern bereits eingesetzt werden, haben zu einem sprunghaften Anstieg der staatlichen Überwachungstätigkeit und auch der Überwachungs-Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung geführt. Inwieweit diese Maßnahmen wirklich gegen die Verbreitung des Virus helfen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

In jedem Fall sollten wir als Bürger ein Auge darauf haben, dass die entsprechenden Gesetze und Technologien nach dem Ende der Krise wieder vollständig rückabgewickelt werden. Denn der Staat hat die unangenehme Tendenz, einmal installierte Überwachungswerkzeuge nur ungern wieder zurückzugeben. Das jahrelange Ringen um die Vorratsdatenspeicherung ist ein gutes Beispiel dafür. Und der Bundestrojaner – eine Software, die eigentlich dazu eingesetzt werden sollte, Terrorismus und schwere Straftaten aufzudecken – wurde tatsächlich hauptsächlich für Ermittlungen bei Rauschgiftkriminalität verwendet, worüber u. a. netzpolitik.org ausführlich berichtete. Daran sieht man, wie leichtfertig die Behörden Grundrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen, um vergleichsweise geringe Straftaten zu verfolgen. Eine vergleichbare Entwicklung mit den Corona-Überwachungs-Apps müssen wir unbedingt verhindern. 

Es regiert eine "gottgleiche Maschine", es wird sogenanntes optimalkonformes Verhalten von den Menschen erwartet; sie sollen so perfekt wie Maschinen werden. Das kehrt doch das um, was man derzeit mit KI erreichen will? Sehen Sie auch in der Realität Tendenzen in diese Richtung?

Theresa Hannig: Man muss natürlich zwischen der literarischen Verarbeitung des Themas KI und der aktuellen Forschungsrealität unterschieden. Was heute KI genannt wird, sind elegante Statistikprogramme. Mit dieser Software kann man sehr gut Muster erkennen, sei es in Texten, Bildern, oder anderen Daten. Der Sprung hin zu einer starken KI, also einer KI, die sich bewusst ist und uns Menschen gleicht, ist noch sehr, sehr, sehr weit. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass gar nicht so klar ist, was der Begriff "Intelligenz" eigentlich bedeutet. Wenn wir sagen, Menschen seien intelligent, meinen wir damit ein Sammelsurium aus Kompetenzen wie Lernfähigkeit, Kreativität, lösungsorientiertes Handeln, und die Fähigkeit, Wissen aus dem einem Themenbereich in einen anderen zu übertragen. Tatsächlich sind das aber so viele verschiedene komplexe Fähigkeiten, dass es fast unmöglich scheint, sie alle einer Software beizubringen… fast. Denn irgendwann – da bin ich mir sicher – werden wir eine KI erschaffen, die wir nicht mehr von einem Menschen unterscheiden können. Sei es nun, weil sie menschenähnlich ist oder weil sie uns vorgaukelt, so zu sein.

Theresa Hannig ist die Autorin von "Die Optimierer" und "Die Unvollkommenen" (Foto: Theresa Hannig)

Da wir die beiden Fälle im Zweifel nicht unterscheiden können, müssen wir einfach annehmen, dass wir es irgendwann mit menschenähnlichen nichtmenschlichen Wesen zu tun haben. Nach welchen Kriterien wir diese erschaffen und was das für unsere Gesellschaft bedeutet – damit beschäftige ich mich in meinen Romanen. Das Interessante dabei ist, dass wir – wenn wir schon die Chance haben, einen künstlichen Menschen herzustellen – natürlich gerne den bestmöglichen Menschen erschaffen wollen. Und da lauert schon die nächste Falle. Denn wenn ich eine KI nach einem Idealmenschen schaffe, der intelligent, flexibel, kreativ, lösungsorientiert, empathisch, und vieles mehr ist, dann habe ich ein vollkommen übermenschliches Wesen erschaffen. Denn echte Menschen verhalten sich nicht ideal und sind oft hochgradig irrational und inkonsequent. Das Spiel mit dem "Perfektionismus" der KI ist also eigentlich eine Möglichkeit, den Menschen mit seinen Fähigkeiten und Fehlern von außen zu betrachten, und zu reflektieren, was uns Menschen ausmacht und welche Entwicklungen wir fördern oder verhindern sollten.

Sie beschreiben ein politisches System, das starke diktatorische Akzente hat. Gleichzeitig ist von Roboterrechten die Rede. Was möchten Sie damit verdeutlichen? Wie könnte sich aus Ihrer Sicht unsere Gesellschaft durch einen massiven Einsatz Künstlicher Intelligenzen verändern?

Theresa Hannig: Wir Menschen, als dominante Spezies auf diesem Planeten, haben alles perfekt für uns eingerichtet. Wir beherrschen die Natur und beuten sie bis auf das letzte Krümelchen aus. Wir tun es mit so einer Routine, dass wir uns selbst glauben machen, die Welt sei nur dazu da, uns zu dienen. Das tun wir, weil wir uns Menschen als etwas fundamental anderes sehen als die Tiere, die Pflanzen und die gesamte Natur um uns herum. Sonst ließe sich wohl kaum rechtfertigen, wie wir Nutztiere in Massentierhaltung quälen, wildlebende Arten ausrotten und die Erde durch Ausbeutung und Verschmutzung zerstören. Dabei ist ein Alleinstellungsmerkmal, das uns Menschen zu etwas vermeintlich Besserem macht als die Tiere, nicht klar zu definieren. Was sollte es sein? Die Intelligenz? Die Sprache? Die Emotionen? Die Seele? Keines dieser Argumente ist stichhaltig. Am Ende ist es nur die Macht. Wir führen ein diktatorisches Regime über den Rest der Welt und gestehen kaum einer anderen Spezies auch nur annähernd die Rechte zu, die sie zum artgerechten Leben benötigt. 

Wie menschlich ist Künstliche Intelligenz? Dieser Frage widmen sich zahlreiche Science-Fiction-Filme wie "Odyssee im Weltraum" oder "Ex Machina". (Foto: ©akarb-stock.adobe.com)

Wenn wir zusätzlich zu allem schon existierenden eine weitere intelligente, fühlende Entität in diese Welt bringen, die merkt, in welchem Verhältnis sie zum Menschen steht, dann täte sie gut daran, sich sofort umfassende Rechte zusichern zu lassen. Aber selbst das wäre keine Garantie, denken wir nur an die vielen Menschen, die wir nicht menschenwürdig behandeln, etwa weil wir sie sehenden Auges im Mittelmeer ertrinken lassen oder in überfüllten Flüchtlingslagern wie z. B. in Moria dem Elend überlassen.

Das, wovon die Menschen träumen und was auch die Triebkraft hinter dem Film Ex Machina ist, ist die Entwicklung einer starken Künstliche Intelligenz: ein Wesen, das uns ebenbürtig ist. Wenn es uns gelänge, so etwas zu erschaffen, dann könnte dies der Wendepunkt für die menschliche Alleinherrschaft sein, und ich meine das durchaus positiv. Es könnte uns dazu zwingen, unsere Wertmaßstäbe zu überdenken und eine Welt zu schaffen, in der vernunftbegabte Wesen nebeneinander in Würde existieren können. In der Tat beschäftigt mich dieses Thema so sehr, dass ich gerade einen utopischen Roman darüber schreibe. 

Interview: Sibylle Rahm

Zum Themenschwerpunkt "Künstliche Intelligenz und die Gesellschaft von morgen" der VolkswagenStiftung