Die Wissenschaftsfreiheit gerät weltweit vermehrt unter Druck. Dabei ist sie essenziell für wissenschaftliche Erkenntnisse und gute Lehre. Um auf die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit und ihre Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte aufmerksam zu machen, haben Forschende den interaktiven "Globus der Wissenschaftsfreiheit" entwickelt, der in diesem Jahr auf der MS Wissenschaft erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Wissenschaftsfreiheit schützt Wisenschaftler:innen vor staatlichen und nicht-staatlichen Eingriffen, sieht sich aber durch Autokrat:innen und autoritäre Populist:innen bedroht. Aktuell leben 3,6 Milliarden Menschen in Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit vollständig eingeschränkt ist. Oder umgekehrt: Nur noch jede dritte Person lebt in einem Land, in dem die Wissenschaftsfreiheit gut bis sehr gut geschützt ist – 2006 war es noch mehr als jede zweite. Diese frappierende Erkenntnis förderte der Academic Freedom Index (AFI), also der Index der Wissenschaftsfreiheit, im März 2024 zutage.
Der AFI ist ein Kooperationsprojekt der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und des V-Dem-Instituts (kurz für: Varieties of Democracy) der Universität Göteborg in Schweden. Die Forschenden errechnen den Index auf Basis der Einschätzungen von 2.329 Länderexpert:innen aus der ganzen Welt. Seit 2019 läuft dieses Forschungsprojekt und hat zumindest in der Wissenschaft bereits zu einem wachsenden Problembewusstsein beigetragen.
Doch den Forschenden ist ebenso wichtig, dass auch der breiten Bevölkerung bewusst wird, dass Wissenschaftsfreiheit in Demokratien nur Bestand haben kann, wenn die Öffentlichkeit selbst den Wert dieser Freiheit versteht und unterstützt. Aus diesem Grund hat Dr. Lars Lott gemeinsam mit seinen Kolleg:innen den "Globus der Wissenschaftsfreiheit" entwickelt. Die VolkswagenStiftung hat das Vorhaben über "Zusätzliche Mittel für Wissenschaftskommunikation" mit 95.000 Euro gefördert.
Der Globus stellt als interaktiver Touchscreen die Wissenschaftsfreiheit aller Länder der Welt mit zeitlichem Vergleich seit 1900 dar. Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde er auf der MS Wissenschaft, einem Schiff, das, angelehnt an das jeweilige Motto des Wissenschaftsjahres, in Deutschland und Österreich wechselnde Ausstellungen zeigt. Zwischen Mitte Mai und September 2024 war der Globus Teil der aktuellen Ausstellung zum Thema "Freiheit", die über 50.000 Gäste besucht haben. Durch die interaktive Darstellung des Index der Wissenschaftsfreiheit hatten die Besucher:innen der MS Wissenschaft die Möglichkeit, sich auf eine spielerische Weise über den Stand der Wissenschaftsfreiheit zu informieren, Länderprofile zu beobachten und die globale Entwicklung nachzuvollziehen.
Dr. Lars Lott zeigt sich zufrieden über das Interesse am Globus: "Die Lots:innen, die auf der MS Wissenschaft die Ausstellung begleiten, haben uns berichtet, dass viele Besucher:innen sich mit dem Index der Wissenschaftsfreiheit beschäftigt haben. Ich freue mich, dass wir einem breiten Publikum Wissen über die Freiheit von Forschenden aus einer internationalen Perspektive näherbringen konnten." Gleichzeitig konnte der Forscher wichtige Erkenntnisse aus dem Nutzungsverhalten der Besucher:innen ziehen.
Erkenntnisse für kommende Kommunikationsmaßnahmen gewonnen
Das größte Interesse – gemessen durch die Anzahl der Klicks auf ein Land – mit mehr als 4.800 Aufrufen hatten Russland und seine Vorgängerstaaten, bspw. die Sowjetunion, erzeugt. Dicht dahinter folgte Deutschland mit mehr als 4.400 Klicks, dahinter China und die USA. Generell zeigt sich, dass geografisch große Länder häufiger aufgerufen werden als geografisch kleinere. "Es erscheint mir intuitiv, dass auf einem Globus größere Länder stärkere visuelle Aufmerksamkeit erzeugen. Das hat natürlich Implikationen für die Art und Weise, wie wir einem breiten Publikum internationale Daten kommunizieren. Geografische Größe ist ja bspw. nicht direkt mit der Anzahl der herrschaftsunterworfenen Personen verbunden. Für mich folgt aus diesen Erfahrungen, noch stärker zu reflektieren, wie wir unsere Daten so aufbereiten können, damit Interessierte einen möglichst umfassenden Blick auf die Welt in Bezug auf Wissenschaftsfreiheit erhalten", berichtet Lott. "Wissenschaftskommunikation lohnt sich immer, bedarf aber auf Seiten der Forschenden der Bereitschaft, Komplexität zu reduzieren und Inhalte in verdaubare Happen zu teilen."
Die Forschenden haben die Anwendung so programmieren lassen, dass sie sich nachnutzen lässt. Als nächstes werden sie den Globus der Wissenschaftsfreiheit zu einer Veranstaltung in Aachen mitbringen, die durch die RWTH Aachen und die Stiftung Internationaler Karlspreis zu Aachen zur Freiheit in der Wissenschaft organisiert wird. "Zudem sind wir auf der Suche nach Ausstellungsorten, an die wir den Globus der Wissenschaftsfreiheit verleihen können", erzählt Lars Lott. Auf die Inhalte bezogen besteht zudem noch viel Erweiterungspotenzial. Dem Forschungsteam stehen durch das V-Dem-Institut nämlich auch Daten zu unterschiedlichen Dimensionen der Demokratie, Pressefreiheit, Religionsfreiheit oder auch Eigentumsrechten zur Verfügung.