Veranstaltungsbericht

Können Universitäten die Demokratie retten?

#Demokratie

Gerd Schild

Warum autoritäre Regime Bildungseinrichtungen angreifen, was dies über ihren Wert für offene Gesellschaften aussagt und wie Universitäten zu ihrem Kernauftrag zurückkehren können, diskutierten am 10. September 2025 Expert:innen im Schloss Herrenhausen im Rahmen eines Symposiums.

"Universitäten sind Orte des freien Denkens und auch des kritischen Denkens. Und wir brauchen diese Orte. Wir brauchen Orte der akademischen Auseinandersetzung, des Diskurses, der Rede und der Gegenrede", so Dr. Henrike Hartmann, Leiterin des Geschäftsfelds Förderung und Mitglied der Geschäftsleitung der VolkswagenStiftung. Sie leitete damit die Podiumsdiskussion "Können Universitäten die Demokratie retten?" ein und freute sich in dem Zuge besonders über die große Zahl von jungen Studierenden im Plenum. 

"Die Angriffe auf die Demokratie seitens autokratischer und rechtspopulistischer Regierungen beinhalten den Angriff auf Universitäten", sagte Moderator Johannes Völz, direkt zu Beginn der Podiumsdiskussion, dem öffentlichen Teil des dreitätigen Symposiums "Universities and the Public Good: Research, Education, and Democracy since 1945", veranstaltet vom German Historical Institute (GHI) in Washington und gefördert von der VolkswagenStiftung. Der Professor für Amerikanistik an der Goethe Universität Frankfurt betonte, die Angriffe sehe man gegenwärtig in den USA, aber auch mitten in der EU.

Mann spricht in ein Mikrofon.

Prof. Dr. Johannes Völz, Goethe-Universität Frankfurt, moderierte die Podiumsdiskussion.

Zum Beispiel an der Central European University (CEU). Die wurde 1991 von George Soros mit dem Leitbild der "Open Society" von Soros‘ Lehrer Karl Popper gegründet. Der Großteil der CEU wurde 2017 von Victor Orban aus Ungarn vertrieben. Völz: "Autokraten scheinen also davon auszugehen, dass es einen engen Zusammenhang gibt zwischen gedeihenden Universitäten und florierenden, gesunden Demokratien." Wir müssten uns fragen: Haben Autokraten hier etwas verstanden, das uns erst noch klar werden muss? Und: Welchen Anteil haben die Universitäten eigentlich an ihrer Vertrauenskrise? 

Das Bild zeigt das Welfenschloss in Hannover aus einer Luftaufnahme

Videomitschnitt der Veranstaltung vom 10. September 2025. 

Ian McNeely, Geschichtsprofessor an der University of North Carolina at Chapel Hill und in seiner Rolle als dortiger Senior Associate Dean for Undergraduate Education auch bestens mit der administrativen Lage vertraut, wies diesen Befund zurück: "Es gibt keine Vertrauenskrise gegenüber den amerikanischen Universitäten", sagte McNeely. Das zeige schon die hohe Anzahl der Bewerbungen. Deutlich wurde er bei der politischen Einschätzung. McNeely beschrieb den Angriff der Trump-Regierung als Mischung aus Tornado und einem Hurrikan. 
 

Bestens mit der Lage in Ungarn vertraut ist Shalini Randeria. Die Soziologin und Anthropologin war bis Mitte 2025 Rektorin und Präsidentin der Central European University. Sie nennt Staaten wie das Ungarn unter Viktor Orbán "sanft autoritär". Statt Panzer nutze das Regime seine parlamentarischen Mehrheiten und die Gerichte, um eine "gewollte Rechtsunsicherheit" zu schaffen. Shalini Randeria wies darauf hin, dass es Autokraten wie Orban gar nicht darum ginge, die Universitäten zu zerstören – sondern sie zu Zentren der Indoktrination zu machen. Und zitiert den US-Vizepräsidenten JD Vance, der sagte, den Werkzeugkasten und das Drehbuch für den Umgang mit Universitäten habe man von Orbán. Randeria blickt deswegen auch verhalten auf die Hoffnung an den US-Universitäten, die Trump-Angriffe rein juristisch abwehren zu können.

Mann spricht in ein Mikrofon.

Ian McNeely sieht keine Vertrauenskrise gegenüber den amerikanischen Universitäten.

Till van Rahden machte die Unterschiede deutlich zwischen der Situation in Deutschland, Ungarn und den USA. Der Historiker ist ein Spezialist für deutsche und europäische Demokratiegeschichte. Gegenwärtig arbeitet er als Senior Fellow am Forschungskolleg Humanwissenschaften in Bad Homburg, das zur Goethe Universität Frankfurt gehört. 

Rahden sieht die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit an deutschen Universitäten, anders als etwa die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit aktuell nicht in Gefahr. "Ich glaube, dass in der jetzigen Situation an den bundesdeutschen Universitäten noch ein sehr, sehr breites Meinungsspektrum repräsentiert ist." Historiker Rahden erinnerte, dass Universitäten nicht immer die Institutionen sind, die für die Demokratie einstehen. In der Weimarer Republik seien die Hochschulen "Brutstätten eines völkischen Nationalismus" gewesen - Theodor Lessing sei zuerst von völkischen Studierenden aus den Hörsälen der Technischen Hochschule Hannover vertrieben worden. 

Drei Personen sitzen auf einer Bühne.

Till van Rahden (Mitte) sieht die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit an deutschen Universitäten nicht in Gefahr.

Universitäten als Vehikel für soziale Mobilität

Ian McNeely brachte eine spannende Zahl in die Diskussion ein. Menschen mit Uni-Abschluss lebten in den USA acht Jahre länger. Die Universität sei zu einer Art "Ersatzsozialstaat" geworden, der Aufstieg durch universitäre Bildung ein Ersatz für Leistungen wie eine allgemeine Krankenversicherung oder eine Absicherung wie das Bürgergeld. "Die Menschen haben jedes Recht sich darüber zu beklagen – aber die Universitäten sind nicht schuld und sollten nicht den Preis dafür bezahlen müssen", sagt McNeely. 

Shalini Randeria unterstrich die Bedeutung der Universitäten als "wichtige Vehikel für soziale Mobilität". Randeria: "Und das ist auch gut so!" Einige Jahre Jura oder BWL studieren, um später einen besseren Job zu bekommen – das sei ein völlig legitimes Anliegen. Die Frage sei nur, was die Universitäten mehr zu bieten hätten als bessere Berufschancen. Ein Aspekt war Randeria dabei besonders wichtig: "Wir vergessen meistens, dass der Großteil unserer Studierenden keine Wissenschaftler:innen werden." Die Universitäten hätten also die Chance, viele Menschen, die später nicht mehr in Universitäten arbeiten, mit kritischem Denken und der Fähigkeit zur Selbstreflexion auszustatten. Und die Frage sei: Welche Werte vermittelt eine Universität?

Frau spricht in ein Mikrofon.

Shalini Randeria unterstrich die Bedeutung der Universitäten als "wichtige Vehikel für soziale Mobilität".

Als Direktorin habe Randeria rund um Palästina-Diskussionen immer gesagt: "Eine Universität steht für Inklusion, sie steht für Diversität, sie steht für Pluralität, sie steht für Toleranz. Und das heißt, sie steht für bestimmte Werte. Und das ist keine Neutralität." 

Welche Rolle können Universitäten einnehmen?

Warum ist eine Diskussion über die Rettung der Demokratie nötig? Till von Rahden erklärte, dass wissenschaftliche, politische, kulturelle und gesellschaftliche Eliten lange davon ausgegangen sind, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, freie faire Wahlen seien eine Art Perpetuum Mobile. "Einmal eingerichtet, läuft und läuft das wie ein VW Käfer. Wir merken jetzt, dass das ein großer Irrtum war."
Der Historiker erinnerte an den ehemaligen Präsidenten der University of Chicago, Robert Hutchins. Der sagte mit Blick auf den Zusammenbruch der Demokratien in Europa in den 1920er und 30er Jahren: Das Entscheidende an der Universität sei nicht Forschung oder Lehre, sondern Reflexion. Universitäten könnten — anders als heute oft praktiziert — wieder Orte sein, die aus lebendigen intellektuellen Traditionen heraus demokratische Kultur und Tugenden prägen.

Die wichtige Frage der Finanzierung

Zur Rolle der Universitäten gehört auch die Frage nach ihrer Finanzierung. Mit Blick auf die USA widerlegte Ian McNeely das Vorurteil, Geisteswissenschaften brachten Unis nichts ein – wirtschaftlich wichtiger seien Naturwissenschaften mit bahnbrechender, in Patente und Ausgründungen nutzbarer Forschung. Das Gegenteil sei in den USA der Fall. Geisteswissenschaften haben oft Lehrveranstaltungen mit sehr vielen Studierenden und wenig Kosten für Geräte – es gibt also mehr Studiengebühren Pro Veranstaltung. McNeely: "Neben den eigentlichen Gründen, die für die Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften sprechen, nämlich dass dort die Wertedebatten geführt werden können, gibt es auch das wirtschaftliche Argument, dass sie dazu beitragen, dass die Universitäten schwarze Zahlen schreiben."

Vier Personen sitzen auf einer Bühne.

Auf dem Podium (v.l.n.r.): Prof. Dr. Shalini Randeria, Rektorin, Central European University, Prof. Dr. Ian McNeely, Professor und Senior Associate Dean for Undergraduate Education, University of North Carolina at Chapel Hill, Prof. Dr. Till van Rahden, Bad Homburg, Prof. Dr. Johannes Völz, Goethe-Universität Frankfurt.

Till von Rahden kritisierte in diesem Zusammenhang die zurückgehende Ausstattung der Universitäten durch die Länder. Das habe einen Wettbewerb um Drittmittel entfacht. "Das setzt die Universitäten unter Druck", sagt Rahden. Und so könnten sie ihre Rolle als Orte, an denen demokratische Lebensformen, Tugenden und demokratische Geisteshaltung eingeübt werden können, gar nicht mehr ausüben. Dazu trage auch bei, dass der große Teil der Forschenden heute prekär beschäftigt sei. 

Lernen, mit Unsicherheit umzugehen

Shalini Randeria verwies auf ein wenig beachtetes, aber für den Zusammenhalt von Gesellschaften immens wichtiges Feld: Die Soziologin und Anthropologin hat beobachtet, dass Studierende besonders nach der Covid-Pandemie immer schlechter mit Unsicherheit umgehen könnten. "Die Universität wäre ein guter Ort, darüber nachzudenken, wie wir unseren Studierenden Sicherheit vermitteln, damit sie besser mit emotionaler und intellektueller Unsicherheit und Ambivalenzen umgehen können." Je mehr wir wissen, desto mehr wissen wir, was wir nicht wissen. Und damit muss man leben können." 
Till von Rahden zitierte dazu noch sinngemäß den Systemtheoretiker Niklas Luhmann: "Wer Wissenschaft betreibt, begibt sich nicht in sicheres, sondern unsicheres Gelände." Aber das unsichere Gelände sei genau das, wo man lernen könne, mit Ambivalenz und Ambiguität zu leben. 

Ian McNeely mahnte Universitäten abschließend auch zu etwas Demut. Sie sollten sich nicht stilisieren als der Ort, an dem die Demokratie besonders perfekt umgesetzt wird. Das trägt dazu bei, dass ein Ressentiment geschürt wird – und verhindere den Abbau der Hürden zwischen den Universitäten und dem Rest der Gesellschaft.

Informationen zur Veranstaltung

Universitäten und Hochschulen spielen eine zentrale Rolle für die Diagnose und Bearbeitung wichtiger gesellschaftlicher Probleme auf beiden Seiten des Atlantiks. Dabei fördern sie Demokratie, indem sie in der Bearbeitung dieser Probleme voraussetzungsloses und kritisches Denken und damit auch soziale Mobilität fördern. Außerdem eröffnet die Entwicklung innovativer Technologien auf der Basis wissenschaftlicher Einsichten neue Möglichkeiten, sich den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu stellen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krise der Demokratie wurden Potenziale und Grenzen der Rolle von Universitäten in der Stabilisierung und Fortentwicklung demokratischer Gesellschaften diskutiert. Welche Probleme und Chancen haben Universitäten in der Erfüllung ihrer demokratischen Rolle heute? Auf welche Weise können sie kulturelle, soziale und politische Voraussetzungen für Demokratie stärken? 

Podiumsdiskussion mit

  • Prof. Dr. Ian McNeely, Professor und Senior Associate Dean for Undergraduate Education, University of North Carolina at Chapel Hill
  • Prof. Dr. Shalini Randeria, Rektorin, Central European University, Vienna
  • Prof. Dr. Till van Rahden, Bad Homburg
  • Moderation: Prof. Dr. Johannes Völz, Goethe-Universität Frankfurt
  • Begrüßung: PD Dr. Axel Jansen, GHI Washington und Dr. Henrike Hartmann, VolkswagenStiftung