Veranstaltungsbericht

Internationaler Agrarhandel: Wie die EU auf Kosten anderer Länder grüner wird

Werden Landwirtschaft und Ernährung in der Europäischen Union auf Kosten anderer Länder nachhaltiger? Dieser Frage widmeten sich die Agrarökonomen Harald Grethe und Stephan von Cramon-Taubadel bei der 25. Leopoldina Lecture am 24. Oktober 2023. 

Prof. Dr. Harald Grethe fasste die Essenz des Abendvortrags zusammen als er sagte: "Agrarhandel ist ein Werkzeug." Gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel plädierte er für weniger tierische Produkte auf dem Teller und weniger pflanzliche Produkte im Tank. Die Agrarökonomen hoben die Risiken von indirekten Landnutzungseffekten hervor und sprachen sich für eine sachlichere Debatte über den Umbau von Ernährung und Landwirtschaft aus.

Erntemaschine auf einem Acker, der zur Hälfte wie eine Europafahne eingefärbt ist Play Video

Videomitschnitt der Veranstaltung

Es sei eine reale Gefahr, dass die Europäische Union (EU) auf Kosten anderer Länder mehr Umweltschutz betreibt, sagte der Agrarökonom Harald Grethe von der Humboldt-Universität zu Berlin. Ein Grund dafür: indirekte Landnutzungseffekte. "Wir verknappen, was auf dem Weltmarkt zur Verfügung steht, ändern unser Konsumverhalten aber nicht. Dadurch steigt in anderen Weltregionen der Preis", erklärte er. Treibhausgasemissionen würden in anderen Ländern entstehen und die Flächen dort verbraucht werden. Es sei "dramatisch schlecht für das Klima und die Biodiversität", wenn dies in Ländern mit biodiversen und kohlenstoffreichen tropischen Wäldern passiert.

Weltweit werden mehr Flächen für Agrarprodukte verbraucht, die Europa importiert, als für jene, die es exportiert. Ein Grund dafür sind Sojaimporte für Futtermittel. "Wir füttern Tiere mit Produkten, die wir auch hätten essen können – oder die auf Flächen wachsen, auf denen wir sonst etwas produzieren können, das auf Nahrungsmittelmärkten zur Verfügung gestanden hätte", sagte Grethe. 

Warum weniger Anbau keine Lösung ist

Auch wenn die EU aus Gründen des Naturschutzes weniger Nahrungsmittel produziert, käme es zu indirekten Landnutzungseffekten, betonte der Agrarökonom. Da die Weltbevölkerung wächst und wohlhabender wird, werde der Biomasse-Bedarf steigen. Extensivierung um jeden Preis führe nicht zum Ziel.

"Wir müssen über das richtige Ausmaß von Biodiversität, Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und Verringerung der Stickstoffdüngung diskutieren", sagte Grethe. Er betonte auch: "Handel ist ein Werkzeug, um Knappheiten auszugleichen." Er führe meist zu Wohlstand, könne ohne passende Rahmenbedingungen aber schaden. Produktion und Konsum müssen Nationalstaaten regulieren. Man könne "nicht in andere Länder hineinregieren", so Grethe. Eine Möglichkeit sei, nur Produkte zu importieren, die nicht auf entwaldeten Flächen angebaut wurden. Herstellerländer könnten dann allerdings in solche Regionen exportieren, in denen diese Standards nicht gelten. 

Was wir essen, beeinflusst das Leben unserer Nachfahren

Stephan von Cramon-Taubadel, Professor für Agrarpolitik an der Georg-August-Universität Göttingen, stellte fest: Agrarprodukte sind handelbar, werden nicht immer dort produziert, wo sie am meisten gebraucht werden und unterliegen saisonalen und jährlichen Schwankungen, die durch Handel ausgeglichen werden können. Gesellschaften müssen Rahmenbedingungen festlegen, damit Agrarhandel den Wohlstand steigert und die Umwelt schützt. 

Mann steht an Rednerpult und spricht mit ausgebreiteten Armen

Harald Grethe: "Wir füttern Tiere mit Produkten, die wir auch hätten essen können – oder die auf Flächen wachsen, auf denen wir sonst etwas produzieren können, das auf Nahrungsmittelmärkten zur Verfügung gestanden hätte."

Anhand des Bildes einer Waage veranschaulichte er vereinfacht, wie sich Fläche und Angebot auf der einen sowie Nachfrage in Form von Konsum pro Kopf auf der anderen Seite beeinflussen. Die Bevölkerungsentwicklung lässt sich kaum politisch steuern, die Agrarfläche nicht unendlich ausdehnen und ertragssteigernde Methoden belasten die Umwelt. "Wie wir produzieren und konsumieren, hat Einfluss darauf, wie lebenswert dieser Planet für unsere Kinder und Enkelkinder sein wird", betonte Cramon-Taubadel.

Transparenter Handel, wahre Preise

Zwei Ziele der EU-Kommission: den Einsatz von Mineraldünger um ein Fünftel und jenen von Pestiziden um die Hälfte zu reduzieren. Cramon-Taubadel zeigte auf, dass dies mit Produktionsverlusten einhergeht. Würde der Verbrauch der EU-Staaten nicht sinken, müsste im EU-Ausland produziert werden. "Das Schwein würde dann nicht mehr bei uns, sondern woanders gemästet werden", sagte der Agrarökonom. Die Reduktion von Dünger- und Pflanzenschutzmittel oder die Wiedervernässung von Mooren müsse man zusammen mit Konsumanpassungen denken. Von Cramon-Taubadel betonte: "Langfristig gibt es keine Ernährungssicherheit ohne Nachhaltigkeit." Damit sich Umweltschäden nicht ins Ausland verlagern, müsste sich laut einer Studie des Naturschutzbundes (NABU) die deutsche Fleischnachfrage nahezu halbieren.

Der Agrarökonom erläuterte: Wenn die Umweltfolgen in Agrargüter eingepreist würden, müssten viele Lebensmittel um einiges teurer sein. Das sei aber ein "politisch dickes Brett." Durch feste und transparente Regeln könnte man Länder dazu verpflichten, die Preise etwas anzuheben, um Preisschocks wie jenen, den der russische Angriff auf die Ukraine am Weizenmarkt verursachte, aufzuteilen. Neben anderen haben dies Indien, China und Indonesien nicht getan. Das sei laut von Cramon-Taubadel verständlich, aber: "Wenn einzelne nur mitmachen, wenn es zu ihrem Vorteil ist, kann es nicht funktionieren." Die Preisschocks seinen für kleinere, wirtschaftlich schwächere Länder hierdurch deutlich größer ausgefallen.

Essen wir zu viel oder das Falsche?

Die Moderatorin und Journalistin Vera Linß fragte, ob sich Umweltschäden beziffern lassen. Das sei kaum möglich, entgegnete Grethe. Der Beitrag zur Verstärkung des Klimawandels sei der schädlichste Faktor. "Es gibt diese bekannte Schätzung: Wenn alle auf der Welt so konsumieren würden wie Deutsche, bräuchten wir drei Planeten. Das macht deutlich, dass wir über unsere Verhältnisse leben", merkte von Cramon-Taubadel an.

Mann steht an einem Tisch und spricht in Mikrofon

"Wie wir produzieren und konsumieren, hat Einfluss darauf, wie lebenswert dieser Planet für unsere Kinder und Enkelkinder sein wird", sagt Cramon-Taubadel.

Linß wollte wissen, ob wir zu viel oder nur das Falsche essen. Im Durchschnitt essen Deutsche zu viel, sagte Grethe. Aber wichtiger als den Verbrauch zu reduzieren sei, weniger tierische Produkte zu essen, denn "es geht nicht um Veganismus, sondern um eine deutliche Reduktion im Durchschnitt der Bevölkerung." Das steigende Angebot an veganen und vegetarischen Alternativen sei ein Schritt in die richtige Richtung, so von Cramon-Taubadel, der Kipppunkt sei aber noch nicht erreicht.

Ernährung gemeinsam gestalten

Grethe sagte, dass Ernährung nicht gemeinsam gestaltet werde, obwohl sie oft zukünftigen Generationen schadet. Er forderte: "Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wo wir Anreize schaffen, sich so zu verhalten, dass es für das Gemeinwohl besser wird." Dass politisch Agierende polarisierende Formulierungen wie "Ernährungsdiktatur" verwenden, sei kontraproduktiv. Um auf den richtigen Weg zur Umstellung zu lenken, könne man etwa Steuersätze anpassen. "Wir sprechen etwa über eine Erhöhung des Normalumsatzsteuersatzes von sieben auf 19 Prozent", so Grethe, der auch Bildung und eine Art "Klimalabel" für Produkte als wirksame politische Maßnahmen nannte.

"Labels wären wichtig", sagte von Cramon-Taubadel, "sie sind aber schwierig." Die CO₂-Last bestimmter Produkte ließe sich kaum bestimmen. Umweltschäden müssten früher eingepreist werden als im Einzelhandel – etwa beim Mineraldünger-Preis, den Landwirt:innen zahlen. Ein paar Würste weniger zu essen und damit einen besseren Planeten zu hinterlassen, sei zudem kein Eingriff in Grundrechte, so der Agrarökonom, auch wenn sich politische Akteur:innen dieser Erzählung bedienten.  

Obwohl viel Forschung betrieben wird, wie der Agrarbereich nachhaltiger werden kann, werde es zu Wohlstandsverlust kommen. "Das ist nicht furchtbar schlimm. Wir genießen einen hohen materiellen Wohlstand im historischen und geografischen Vergleich", sagte von Cramon-Taubadel.  Politische Maßnahmen, betonte er, müssten jedoch unbedingt sozialpolitisch flankiert werden. 

Von Biogas und Glyphosat

Linß fragte die beiden Agrarökonomen, warum sie sich gegen Biogas aussprechen. Das Image, Biogas sei klimapolitisch sinnvoll und nachhaltig, sei der Erfolg intensiver Lobbyarbeit vieler Interessengruppen der Automobil- und Agrarindustrie, erklärte Grethe. Er sagte: "Biogas als nachhaltig zu bezeichnen ist falsch, weil es wahnsinnig ineffizient ist, mit Raps, Getreide oder Zucker fossile Kraftstoffe zu ersetzen. Die indirekten Landnutzungseffekte fressen den Klimavorteil bald wieder auf." 

"Wie muss sich die europäische Landwirtschaft ändern?", fragte Linß. Grethe nannte Moor-Wiedervernässung und die Schaffung von Strukturen in der Agrarlandschaft, um Klima- und Biodiversitätsschäden zu mildern. "Wir müssen allerdings aufpassen, dass es nicht zu wild wird mit unseren Produktionsverlusten", hob er hervor. 

Frau sitzt auf einem Stuhl und spricht in ein Mikro

Journalistin Vera Linß moderierte die Veranstaltung. 

Der Agrarökonom sagte außerdem: "Aus Sicht der Nachhaltigkeit kann Glyphosat ein sinnvoller Teil einer nachhaltigen Landwirtschaft sein." Glyphosat, merkte Linß an, sei als enorm umweltschädlich bekannt. Historisch wurde zu viel des Umweltgiftes eingesetzt, wendete Grethe ein. Glyphosat biete auch Chancen, weil es pfluglose Bodenbearbeitung ermögliche, warum er forderte: "Es braucht einen zielgerichteten Einsatz."

Die komplexe Frage der Lebensmittelverschwendung

Ein Zuhörer fragte: "Wie kann man die Stellschraube Lebensmittelverschwendung beeinflussen?" Das Thema sei komplexer als oft vermittelt würde, antwortete von Cramon-Taubedel. In Entwicklungsländern gehen Nahrungsmittel oft bei Ernte oder Lagerung verloren. In Deutschland der Großteil in Haushalten, zudem blieben Erzeuger auf Ware sitzen, wenn der Einzelhandel kurzfristig Lieferungen storniert. Der größte Hebel sei, Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Den Vorschlag von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Verfallsdaten für manche Lebensmittel abzuschaffen, begrüßte er zwar. "Die aktuellen Regeln haben auch ihre Gründe", sagte der Agrarökonom. Es komme auf die Produkte und den Kontext an.

Müssen wir uns umstellen, wenn andere es nicht tun?

"Verpuffen unsere Effekte, wenn andere Staaten wie China nicht mitziehen?", fragte ein weiterer Zuhörer. Das sei ein Problem, weil dadurch die politische Akzeptanz für Maßnahmen sinkt, antwortete von Cramon-Taubedel. Andere Länder beschäftigen allerdings oft dieselben Themen. Das wisse er unter anderem aufgrund seiner Gastprofessur in Nanjing in der chinesischen Provinz Jiangsu. "Wir sind nicht allein. Wenn wir mutig vorwärtsgehen, könnte das andere mitziehen", sagte er.

Podium mit drei Personen darauf

Im Anschluss an ihre Vorträge beantworteten die beiden Wissenschaftler Fragen der Moderatorin und aus dem Publikum.  

Europa sei unglaubwürdig, weil es historisch enorme Mengen an Ressourcen verbraucht hat und sich in manchen Belangen immer noch weigere, nachhaltig zu agieren, merkte Grethe an. Er sagte: "Als reiches Land hat Deutschland im internationalen Vergleich viele Möglichkeiten, umweltfreundlicher zu handeln."

Solar auf die Felder

Ein weiterer Zuhörer bat um eine Einschätzung von Solarmodulen auf Agrarflächen. Grethe begrüßte dies, weil die Wertschöpfung von Energie pro Hektar ein Vielfaches größer ist als im Vergleich zu etwa Biokraftstoffen. Er sagte: "Wir können es uns leisten 150.000 Hektar mit Solarzellen zu nutzen, um die Energiewende zu erleichtern." Vor allem, da man diese als Agrophotovoltaik auch gemeinsam mit Nahrungsmittelproduktion nutzen kann. Von Cramon-Taubadel gab zu bedenken, dass eine Million Hektar für den Maisanbau für Biogasanlagen genutzt wird und sagte: "Die Flächenverluste sind ein Problem, finden aber an anderer Stelle statt."

Eine Zuhörerin merkte an, dass Geld auch für Landwirt:innen oft ein Anreiz für Verhaltensänderungen sei. Grethe stimmte zu und entgegnete: "Wir müssen die Umstellungen gesellschaftlich in Chancen übersetzen. Wir brauchen Agrarpolitik, um solche Chancen zu schaffen."