Frau Sitzt in einem Labor
Story

Quantentechnologie: Rechnen mit Licht

Autor: Klaus Lüber

Stefanie Kroker arbeitet daran, kleinste Strukturen zu erzeugen und so präzise wie möglich zu vermessen. Auch die Forschung am Quantencomputer könnte davon profitieren. Ein Porträt.

Stellt man mehrere brennende Kerzen nebeneinander auf, kommt es zu einem beeindruckenden Phänomen: ihr Flackern synchronisiert sich. Immer dann, wenn eine der Flammen größer wird, schrumpft diejenige der Nachbarkerze im selben Rhythmus. Ordnet man die Kerzen anders an oder veränderte den Abstand, lassen sich jeweils andere Muster erzeugen. "Ich war wirklich überrascht, das kannte ich so noch nicht", erzählt Stefanie Kroker und fügt lachend hinzu: "Obwohl ich Physikerin bin und das Fach wirklich lange studiert habe."

Kroker ist Professorin für Physik an der TU Braunschweig. Ihr Schwerpunkt: die sogenannte Nanometrologie. Dort wird untersucht, wie Licht dazu eingesetzt werden kann, bestimmte Zustände auf atomarer Ebene sehr gezielt erzeugen und gleichzeitig hochpräzise messen zu können. Auf das Phänomen der synchronisierten Kerzen stieß sie beim letztjährigen Bundeswettbewerb Jugend forscht, dessen Jury sie seit 2021 angehört. Vorgestellt hatten es zwei Schüler aus München und Heidelberg, die auch gleich noch die entsprechenden Gleichungen mitlieferten, um das Geschehen genau beschreiben und sogar am Computer simulieren zu können.

Die Natur ausrechnen

Mithilfe mathematischer Formeln die Welt um uns herum greifbarer zu machen – genau das scheint nicht nur junge Forscherinnen und Forscher zu begeistern, sondern brachte Stefanie Kroker selbst zur Physik. Bereits in der Kita liebt sie den Umgang mit Zahlen, rechnen kann sie früher als schreiben. Richtig spannend wird es für sie in der Mittelstufe, als der Physikunterricht mit auf den Lehrplan kommt und klar wird: Das Jonglieren mit mathematischen Ausdrücken muss kein Selbstzweck bleiben. "Da passiert etwas in der Natur und man kann das mit Zahlen beschreiben, also regelrecht ausrechnen. Das fand ich total spannend."

Frau mit Sonnenbrille betrachtet Gerät

Stefanie Kroker in ihrem Labor. Bei der Arbeit mit den optischen Geräten wird eine schützende Brille benötigt, die verdunkelt.

Die Liebe zur Naturwissenschaft bleibt, Kroker wählt Mathematik und Physik als Leistungskurse im Abitur, mit so großem Erfolg, dass sie nach der Schule von der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert wird. Es folgt ein Studium der Physik an der Universität Jena. Als typischen Mathe-Physik-Nerd würde sie sich aber dennoch nicht bezeichnen. "Es ist nicht so, dass ich keine anderen Interessen habe und hatte", erzählt sie. Über viele Jahre spielt Kroker sehr intensiv verschiedene Instrumente, spielt sogar mit dem Gedanken, eine Karriere als Musikerin einzuschlagen. Letztlich bleibt es beim Hobby. Was, wie sie schmunzelnd erzählt, auch daran liegt, dass sie überhaupt kein Nachtmensch sei. "Jeden zweiten Abend auf der Bühne stehen – das wäre für mich ein Unding."

Zugriff auf Atome

Die Aversion gegen nächtliches Arbeiten spielt dann später, im Physik-Studium, auch bei einer weiteren Karriereentscheidung eine nicht unwichtige Rolle. "Als es darum ging, mich auf einen thematischen Schwerpunkt festzulegen, konnte ich die Astronomie für mich sehr schnell abhaken." Wobei ihr, auch ohne die Nachtschichten im Observatorium, die theoretische Physik eben zu theoretisch gewesen wäre, wie sie berichtet. "Ich wollte schon immer so anwendungsbezogen wie möglich forschen." Für ihr Diplom arbeitet sie im Bereich der Festkörperphysik. "Da geht es ganz handfest zur Sache, da werden Materialproben zunächst hergestellt und dann im Anschluss mathematisch beschrieben und charakterisiert." Eine wichtige Rolle spielt dabei Licht als Messinstrument im Rahmen kleinster Strukturen – etwas, womit sich das physikalische Teilgebiet der Optik beschäftigt. 

Drei Personen betrachten elektronische Anlage

Stefanie Kroker und ihr Team besprechen einen Versuchsaufbau.

Für ihre Promotion wechselt sie dann ganz in die Optik. In einer Arbeitsgruppe für Mikrostrukturtechnologie an der Universität Jena beschäftigt sie sich mit Licht-Materie-Wechselwirkungen an strukturierten Oberflächen. "Es geht darum, optische Materialien so zu designen, dass sich das Licht von ihnen gezielt verändern lässt." Treten diese Lichtzustände dann in Wechselwirkung mit Materie, werden sie auf charakteristische Art und Weise verändert. "Das kann man dann messen", erklärt Kroker. Dabei machen Laser mit immer kürzerer Wellenlänge es möglich, einen Bereich von wenigen Nanometern abzubilden. "Gleichzeitig wird es möglich, Zugriff auf bestimmte Anregungsprozesse in Atomen, Molekülen und Zellen vorzunehmen." Einen Zustand ebenso erzeugen, wie ihn messen, wie in einem Kreisprozess. "Das eine bedingt das andere – und es geht nur zusammen", erklärt Kroker. 

Die Computer der Zukunft

Besonders relevant ist dies für die Forschung an Quantencomputern, an der auch die TU Braunschweig im Rahmen des Exzellenzcluster QuantumFrontiers und des Forschungsverbunds "Quantum Valley Lower Saxony" (QVLS) beteiligt ist. Der Verbund wird von der VolkswagenStiftung im Rahmen von "zukunft.niedersachsen" gefördert. In der Theorie können solche Maschinen das maschinelle Rechnen revolutionieren. Statt lediglich mit den Zuständen 0 und 1 kann ein Quantencomputer mittels sogenannter Qubits auch mit den Zuständen dazwischen rechnen. Ein solches Qubit kann demnach nicht nur entweder den Zustand 0 oder den Zustand 1, sondern auch beide Zustände gleichzeitig einnehmen. 

Das ermöglicht das parallele Abarbeiten vieler verschiedener Zustände und damit das Lösen hochkomplexer kombinatorischer Probleme etwa aus der Logistik. "Angenommen, Sie wollten mit einem klassischen Computer berechnen, welchen Weg ein Lieferfahrzeug zwischen 30 Adressen zurücklegen müsste, um die kürzeste Route zu wählen, bräuchte die Maschine ungefähr so lange wie die Lebensdauer des Universums", erklärt Kroker. "Für einen Quantencomputer ist eine solche Aufgabe dagegen gut zu bewältigen." Ein anderes, faszinierendes Anwendungsfeld: die medizinische Forschung. "Ein solcher Computer wäre in der Lage, sämtliche Zustände von Atomen zu simulieren und vollkommen neue Moleküle, und damit Wirkstoffe, zusammenzubauen."

Detailaufnahme eines optischen Geräts

Detailaufnahme der optischen Apparatur. Die komplexen optischen Aufbauten sollen zukünftig auf der Größe eines Computerchips Platz finden.

Ionen in der Falle

Soweit die Theorie. In der Praxis allerdings sind Quantencomputer alles andere als leicht zu realisieren. Die entsprechende Hardware, in der die Qubits ihre ganze Rechenkraft entfalten können, muss erst noch entwickelt werden. Die Herausforderung ist unter anderem, Qubits überhaupt erst einmal zu erzeugen, sie dann während des Rechenprozesses möglichst stabil zu halten, um am Ende ein Ergebnis ablesen zu können. Möglich wird dies mittels komplexer, aber bislang noch wenig praktikabler optischer Aufbauten. "Wir sprechen da von dicken Stahlplatten, ein mal zwei Meter groß, gespickt mit hunderten von kleinen Spiegeln und Komponenten, die im Abstand von zweieinhalb Zentimetern dicht an dicht auf der ganzen Fläche angebracht sind", so Kroker. " Eine solche Apparatur hat nur dann eine Zukunft, wenn wir es schaffen, sie auf die Größe eines Chips zu komprimieren."

Genau daran arbeitet Kroker mit ihrem Team in Braunschweig. Als Qubits fungieren dabei Ionen, also elektrisch geladene Atome. Diese werden in elektro-magnetischen Felder fixiert – sogenannten Ionenfallen. "Man kann sich das vorstellen wie eine Fläche mit vielen Mulden", erklärt die Physikerin. Im praktischen Betrieb sei es dann noch wichtig, die einzelnen Ionen von Mulde zu Mulde schubsen zu können. "In manche Regionen möchte man vielleicht Quantenoperationen durchführen, in anderen Informationen speichern." All das soll in Zukunft auf einem Chip möglich sein.

50 Qubits bis 2025

Wie viel Leistung ein Quantencomputer tatsächlich entfalten kann, hängt auch von der Anzahl seiner Qubits ab. Im QVLS hat man es sich zum Ziel gesetzt, in den nächsten zwei Jahren ein System mit 50 Qubits auf der Basis der Ionenfallentechnologie zu realisieren. Ist das realistisch? Kroker zeigt sich zuversichtlich. "Wir sind durch die Expertise der beteiligten Gruppen, die exzellente Verbundforschung und die herausragende Infrastruktur an den beteiligten Forschungszentren hervorragend aufgestellt", so die Forscherin. 

Allerdings sind magnetisch "gefangene" Ionen nicht die einzigen vielversprechenden Kandidaten für Qubits. Diese könnten auch durch widerstandslos fließende Ströme in supraleitenden Schaltkreisen realisiert werden. Dadurch können Quantenzustände besonders rasch vearbeitet werden. Die Ionen-Qubits können Quanteneigenschaften dagegen über eine längere Zeit beibehalten.  "Welcher Ansatz letztlich das Rennen macht, ist noch nicht abzusehen", so Kroker. "Möglicherweise werden wir Kombinationen aus unterschiedlichen Systemen sehen."

Workshops in Schulen

Neben ihrer Forschungstätigkeit liegt Kroker auch die Lehre am Herzen. "Ich bin gerne im Hörsaal", betont sie. "Mich dann komplett auf die Studierenden zu fokussieren, ist ein wunderbarer Ausgleich zu meinen sonstigen Aufgaben. Das erdet mich regelrecht." Aber auch über die Hochschule hinaus sucht die Wissenschaftlerin Kontakt zu jungen Menschen, hält Vorträge für Schülerinnen und Schüler, auch im Ausland. Erst vor Kurzem war sie zu Gast in einem Gymnasium in Istanbul. Ein ehemaliger Kollege aus Braunschweig hatte sie eingeladen. "Wir haben einen Workshop dazu gemacht, wie das, was die Schülerinnen und Schüler gerade in der Oberstufe lernen, tatsächlich in der aktuellen Forschung genutzt wird." Der Bezug zur Praxis, die Koppelung an die Wirklichkeit: Es könnte ja sein, dass das, was Stefanie Kroker zur Forscherinnenkarriere motiviert hat, auch bei anderen jungen Talenten verfängt.
 

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