Veranstaltungsbericht

Rollback zu Retro: Gefährdet ein neues Männlichkeitsbild die Gleichstellung – und sogar die Demokratie?

Autorin: Heike Manssen

Podium mit Gästen im gut besuchten Auditorium

Der Zeitgeist in Deutschland ist konservativer geworden. Rechtspopulistische Parteien nutzen das Erstarken traditioneller Geschlechterrollen und autoritärer Männlichkeitsbilder. Über die Folgen für Gleichberechtigung und Gesellschaft diskutierten zum Abschluss der Hannah Arendt Tage Expert:innen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft.

"Retro ist wieder in, nur nicht der Feminismus!" Der werde als Gefahr beschimpft – so hieß es in einem von drei Poetry-Slam-Beiträgen, mit denen Schülerinnen der IGS Roderbruch die Diskussion unter dem Titel "Starke Männer braucht das Land? Frauen zwischen Aufbruch und Rollback" am 11. Oktober 2025 einleiteten.

Und damit war man gleich mittendrin im Thema. Christian Wulff, Bundespräsident a. D., bestätigte ein Erstarken eines autoritären Männerbildes als weltweiten Trend. Ein Trend, bei dem Empathie als Schwäche ausgelegt werde. Mit den Beiträgen der Schülerinnen dagegen hatte der CDU-Politiker so seine Probleme. Sein 17-jähriger Sohn habe ihm mit auf den Weg gegeben, dem Männerhass entgegenzutreten, den der Schüler nach eigenen Aussagen selbst erlebe. Moderne, aufgeschlossene Männer wie sein Sohn empfänden die "Generalisierung als extrem radikale Herausforderung", so Wulff.

Drei junge Frauen im Publikum.

Drei starke junge Frauen der IGS Roderbruch haben als Einstieg Poetry-Slam-Beiträge zum Thema des Abends vorgetragen.

Er selbst kämpfe gegen Formulierungen, wie "die Katholiken, die Muslime, die Frauen, die Männer". Die größte Errungenschaft Europas in den zurückliegenden 20 Jahrhunderten, argumentierte der Politiker, sei die Erfindung des Individuums. Und dafür habe auch Hannah Arndt immer gestanden. Ein Freund-Feind-Denken – insbesondere beim Thema Geschlechter – würde nur den Rechtsextremisten in die Hände spielen.

Auch Männer leiden unter tradierter Männlichkeitsform

Den beschrieben Männerhass griff Björn Süfke, Autor, Psychologe und Männerberater von man-o-mann in Bielefeld, auf. Ja, man müsse junge Männer ernst nehmen – doch es handle sich um ein Missverständnis: Es gebe keinen Männerhass, sondern eine ganz klare Kritik an einer traditionellen Form von Männlichkeit. Und darunter würden ja auch Männer selbst leiden. Das Problem seien nicht die Männer, sondern die traditionelle Form von Männlichkeit.

Und diese sei auch in den Schulen wieder auf dem Vormarsch. Das erläuterte Susanne Blasberg-Bense, Dezernentin für Jugend, Familie und Sport in Hannover. Grenzüberschreitungen junger Männer und zunehmende Gewaltvorfälle hätten auch mit dem veränderten Geschlechterbild zu tun. Als eine Erklärung skizzierte die Dezernentin die Situation junger Menschen: eine krisengeschüttelte Jugend, deren Handeln sich aus Ohnmachtsgefühlen entwickelt habe. Hinzu käme, dass während des Corona-Lockdowns das Erlernen sozialer Kompetenz und die Identitätsbildung auf der Strecke geblieben seien.

Susanne Blasberg-Bense

Susanne Blasberg-Bense berichtete von zunehmenden Grenzüberschreitungen und Gewalt bei jungen Menschen.

Die Hinwendung ins Extreme wertet die Schulexpertin nicht als nur ausschließlich männliches Problem. Jedes fünfte Mitglied in einer rechtsextremen Jugendorganisation sei weiblich. "Das freundliche Gesicht des Rechtsextremismus sind die Frauen", sagte Blasberg-Bense. Die traditionelle Männlichkeit – andere Podiumsteilnehmende nannten sie toxisch oder hegemonial – könne sich nur verfestigen, wenn Frauen den Gegenpart dazu bildeten.

Bis heute keine Auseinandersetzung über Gleichstellung

Doch sind es nur die jungen Leute, bei denen sich etwas verändert hat? Professorin Ulrike Lembke, freie Rechtswissenschaftlerin und Expertin für rechtliche Geschlechterstudien aus Berlin, warnte davor, ausschließlich in die Schulen zu schauen. Geschlechterspezifische Anfeindungen gehen ihrer Erfahrung nach auch immer mehr von Älteren aus, sagte die Verfassungsrichterin. Deutschland habe nach der Wiedervereinigung seine Chance verpasst, sein Modernisierungsdefizit in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse aufzuholen. "Es gibt weiterhin strukturelle Diskriminierung von Frauen – und die ist signifikant und nicht überwunden." Die Juristin beklagt, dass es bis heute keine intensive Auseinandersetzung darüber gibt, was Gleichstellung bedeutet.

Feminismus ist auch für Männer eine Befreiung.

Prof. Dr. Ulrike Lembke

Anderen seien da weiter. Skandinavische Staaten oder die Beneluxländer hätten schon früh verstanden, dass Geschlechtergerechtigkeit eine Anstrengungen der gesamten Gesellschaft bedarf, erläuterte Björn Süfke. Das zu vermitteln, sei in Deutschland noch nicht gelungen. Hierzulande herrsche noch immer ein Geschlechterkampf: "Das ist immer das Problem unserer Debatte hier gewesen." Dabei sei der Feminismus auch für Männer eine Befreiung, unter anderem von der Superman-Rolle. Süfke nannte ein Beispiel: Männer beginnen demnach erst nach 69 Monaten mit der Suche nach Hilfe bei psychischen Problemen, Frauen würden das nach neun Monaten schaffen.

Bedeutet Konservatismus die Abkehr von Gleichstellung?

Doch wie sieht denn nun die Trennlinie zwischen einem konservativen und einem rechten Männerbild aus? Eine Frage, die Moderatorin Stephanie Rohde gleich mehrmals stellte. "Keiner ist verpflichtet, Feminist zu sein", entgegnete Wulff, und verwehrte sich dagegen, dem konservativen ein rechtes Männerbild entgegenzusetzen: "Ich kenne keine Konservativen, die nicht für Gleichstellung sind." Er kenne aber genügend unter ihnen, die sich gegen ein Freund-Feind-Schema aussprechen würden – und sich nicht vorschreiben ließen, wie sie zu schreiben oder zu reden haben.

Stephanie Rohde und Christian Wulff im Gespräch

Viele – auch hitzige – Debatten wie hier zwischen Moderatorin Stephanie Rohde und Christian Wulff fanden im Laufe des Abends statt.

Die Brandmauer, so sieht es Professorin Lembke, stehe zwischen konservativer und reaktionärer Geschlechternorm. Eine Mauer, so ihre Beobachtung, die schon lange bröckelt. Anti-Feminismus und Anti-Gendern seien Kernpolitikfelder der Rechtsextremen, untrennbar verbunden mit Rassismus, Behindertenfeindlichkeit und Antisemitismus. Man müsse sich – egal, ob konservativ oder links – klar entscheiden auf welchem Feld man mitspiele. Christian Wulff hingegen wertete die Gendersprache-Diskussion als kontraproduktiv. Es entstehe der Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema akribisch geführt werde, während dringende Probleme nicht angefasst würden. Dieser Eindruck nütze rechten Parteien.

Braucht es überhaupt Männlichkeit?

Dass rechte Ideologien auch die Jugendarbeit unterwandern können, da müsse man ganz genau hinschauen, gab Dezernentin Blasberg-Bense zu bedenken. Sie stellte Programme der Stadt für junge Menschen vor und erklärte, dass die Mädchen dabei etwas aus dem Blick geraten seien, auch weil Jungs sehr raumgreifend sind. "Nur weil sie 80 Prozent Redeanteil haben, haben sie nicht 80 Prozent nachgedacht", entgegnete Björn Süfke und verwies auf die Bedeutung von Reflexionsräumen für junge Männer.

Reflektieren für eine moderne Form der Männlichkeit? "Es braucht überhaupt keine Männlichkeit", so Süfke. Männlichkeit und auch Weiblichkeit seien soziale Konstruktionen, willkürliche Anforderungsprofile, "die wir Leuten aufzwingen". Man könne als Mann, Frau oder Non-Binäre alle Errungenschaften der Demokratie nutzen. Doch solch eine Dekonstruktion von Rollen sei unglaublich schwer zu vermitteln.

Schwierige Diskussion

Deutlich wurde am Ende der Veranstaltung, dass es gar nicht so einfach ist, über Geschlechterrollen und Feminismus zu diskutieren. Christian Wulff sprach von einer rechthaberischen Gesprächskultur, Ulrike Lembke schilderte, dass sie seit einiger Zeit die Erfahrung gemacht haben, dass konservative Kolleg:innen nicht mehr den Austausch suchen würden.

Bei der anschließenden Diskussion mit dem Publikum sagte ein junger Mann, dass er keinen Männerhass erlebe. Und egal, wie seine eigene Einstellung sei, er bleibe Teil eines strukturellen "sexistischen" Systems. Und damit müsse auch er als Individuum Verantwortung übernehmen. Einer Zuhörerin gelang es, so etwas wie ein versöhnliches Schlusswort in den Raum zu stellen: "Feminismus ist nicht Männer gegen Frauen – wir können nur zusammen."

Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit der VolkswagenStiftung mit der Landeshauptstadt Hannover.

Junger Mann im Publikum

Die jungen Menschen im Publikum waren einhellig der Meinung, dass man alle Individuen in einem strukturell sexistischen System Verantwortung übernehmen müssen.