Modell eines "Januspartikels"
Story

Mit Licht Mikropartikel durch Flüssigkeiten steuern

Tim Schröder

Wie Computerspielen im Labor": In ihrem Projekt erforscht Freigeist-Fellow Juliane Simmchen, wie man kleinste Teilchen in Flüssigkeiten gerichtet bewegen kann. Ein Ziel: Schadstoffe aus Wasser zu entfernen oder Medikamente durch den Körper zu schleusen.

Wenn ein Mensch durchs Wasser schwimmt, dann treibt er sich mit kräftigen Arm- und Beinschlägen voran. Einem Schlag folgt die Gleitphase, in der der Körper nach dem Trägheitsprinzip weiter vorankommt. In der Mikrowelt aber gibt es kein solches Gleiten. Für einen Wasserfloh zum Beispiel fühlt sich das Wasser zäh wie Honig an. Er ist zu klein, seine Masse zu gering. Will er sich bewegen, muss er paddeln, und sobald er mit dem Paddeln aufhört, bleibt er stehen.

Juliane Simmchen ist Expertin für derartige Bewegungen in der Mikrowelt. Als Chemikerin beschäftigt sie sich allerdings nicht mit Wasserlebewesen. Vielmehr ist sie von der Frage fasziniert, wie man unbelebte Partikel dazu bringen kann, sich aus "eigener Kraft" gerichtet durch Flüssigkeiten zu bewegen. Das ist eine eigenartige Vorstellung, denn eigentlich ist man es gewohnt, dass Partikel im Wasser chaotisch umeinander treiben wie die Flocken in einer gläsernen Schneekugel. Juliane Simmchen aber will Partikeln beibringen, gemeinsam in eine bestimmte Richtung zu schwimmen: verglichen mit dem Schneekugeleffekt ein überraschendes Bild, hinter dem eine außergewöhnliche Forschungsidee steckt.

Dr. Juliane Simmchen zeigt das Modell eines "Januspartikels"

Freigeist-Fellow Dr. Juliane Simmchen zeigt das Modell eines "Januspartikels".

Videointerview: Juliane Simmchen erklärt ihr Forschungsprojekt

Dr. Juliane Simmchen zeigt das Modell eines "Januspartikels" Play Video

Dr. Juliane Simmchen forscht als Freigeist-Fellow der VolkswagenStiftung an der Technischen Universität Dresden. Sie verbindet in ihrem Forschungsprojekt "Photolytics" zwei Forschungsfelder: Photokatalyse und Mikromotoren. Es zielt auf die Entwicklung eines Antriebsmechanismus für photokatalytische Mikromotoren, der auf der Zersetzung von Wasser durch Sonnenlicht basiert. Im Videointerview erklärt Juliane Simmchen ihr Projekt und erzählt, welches Ziel sie mit ihrem Forschungsteam verfolgt.

Permanente Energieversorgung nötig

"Natürlich können sich Mikropartikel nur dann durch Flüssigkeiten bewegen, wenn sie permanent mit Energie versorgt werden", sagt die 32-jährige Forscherin, die an der Technischen Universität Dresden für ihr Freigeist-Projekt "Photocatalytic Processes for Micromotion and Analytic Purposes - PHOTOLYTICS" eine Nachwuchsgruppe in der Physikalischen Chemie aufgebaut hat.

Die Partikel brauchen eine Art Motor, der sie ständig antreibt.

"Die Partikel brauchen also eine Art Motor, der sie ständig antreibt." Und an diesen Motoren arbeitet sie gemeinsam mit ihrem Team. Ihre zentralen Versuchsobjekte sind Partikel aus Kunststoffen, Platin und anderen Materialien mit einer Größe von wenigen Mikrometern.

"Januspartikel" ermöglichen zeitgleich Antrieb und Funktion

Besonders interessant sind für die Gruppe die sogenannten Janus-Partikel. Wie ein Januskopf haben diese zwei unterschiedliche Seiten: eine ist mit einer katalytisch aktiven Schicht umhüllt, die andere bleibt unbehandelt. Der Antrieb funktioniert hier folgendermaßen: Fällt Licht auf die katalytisch aktive Seite, kommt es in der Beschichtung zunächst zu einer energetischen Anregung. Dadurch werden chemische Reaktionen mit Molekülen aus der Flüssigkeit ausgelöst, die sich an der Oberfläche des Partikels befinden. Letztlich sammeln sich im Wasser an der beschichteten Seite des Janus-Partikels die neu entstehenden Moleküle an. So entsteht langsam ein Konzentrationsunterschied zwischen den beiden Seiten des Januspartikels – ein sogenannter Gradient. Und dieser Gradient führt dazu, dass sich das Teilchen ganz von selbst in Bewegung setzt; ein Phänomen, das als Selbst-Diffusiophorese bezeichnet wird.

Neue "Treibstoffe" für die Bewegung in der Mikrowelt

Juliane Simmchen geht es darum, solche Vorgänge im Detail zu verstehen, um neue "Treibstoffe" zu entwickeln und die Bewegung besser steuern zu können. Sie arbeitet mit Physikern von anderen Forschungseinrichtungen zusammen, die die Abläufe am Computer simulieren.

Eigentlich hat unsere Arbeit viel mit Basteln zu tun

Bei aller Theorie hat die Chemikerin klare Anwendungen vor Augen: Es sei denkbar, mit solchen Partikeln gezielt Schadstoffe aus einer Flüssigkeit zu fischen und abzutransportieren. Und möglicherweise ließen sich künftig mit wieder anderen Partikeln Medikamente durch den Körper zu einem Tumor steuern.

Juliane Simmchens Team ist multidisziplinär, auch Biologen sind mit dabei. Die Biologen schauen sich natürliche "Motoren" wie etwa Bakterien an, die sich mit ihren Flagellen, kleinen Ruderschwänzen, fortbewegen. Gut möglich, dass diese Biotransporter künftig wie Lastesel Partikel hinter sich herziehen, meint Simmchen. "Eigentlich hat unsere Arbeit viel mit Basteln zu tun", sagt sie. "Wir probieren viele neue Ideen aus, und zum Teil müssen wir für unsere Experimente die Geräte selbst bauen." Etwa eine Maschine, die Plastik-Partikel aus Polystyren verformen kann, weil von der Form abhängt, wie sich die "Krümel" bewegen. "Was mich und meine Gruppe antreibt, ist gut zu verstehen, wenn man die Experimente mal gesehen hat.

Dr. Juliane Simmchen

Dr. Juliane Simmchen baut ihr internationales Team an der TU Dresden auf.

Das ist ein bisschen wie Computerspielen im Labor, nur cooler.

Es ist einfach total faszinierend. Man kann im Mikroskop winzig kleine Sachen sichtbar machen und deren Verhalten auch noch beeinflussen – das ist ein bisschen wie Computerspielen im Labor, nur cooler."

Fellowship half beim schwierigen ersten Schritt

Juliane Simmchen hat Analytische Chemie studiert und während der Promotion in den Materialwissenschaften gearbeitet. Als Postdoc am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart lag ihr Schwerpunkt dann auf der Erforschung des Umwelteinflusses auf Partikelbewegung. Damit bringt sie als junge Forscherin schon einen ganzen Strauß an Erfahrungen in ihre aktuelle Forschung ein. Die Förderung als Freigeist-Fellow hat ihr geholfen, den "schwierigen, ersten Schritt" zu tun: "Von der ungewöhnlichen Idee zur Umsetzung zu kommen, die Realisierung ganz konkret zu planen und anzugehen, das ist jetzt schon mal geschafft. Was jetzt folgen muss, sind Fleiß und harte Arbeit – für mich die Voraussetzungen für wissenschaftlichen Erfolg." 

Ein Beitrag aus dem Impulse-Magazin 2019 der VolkswagenStiftung, in dem mit Tine Hanrieder und Carolin Antos weitere Freigeister und ihre ungewöhnlichen Projekte vorgestellt werden.

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