Im Profilbereich "Wissen über Wissen" öffnen neue Förderangebote Räume zur Reflexion: Antje Tepperwien und Johanna Brumberg erläutern, wie die Stiftung dazu beitragen will, die Rahmenbedingungen für Forschung und Lehre zu verbessern.
Interview

Wissenschaftsforschung fördern – Veränderungen anstoßen

Beate Reinhold

Im Profilbereich "Wissen über Wissen" öffnen neue Förderangebote Räume zur Reflexion: Antje Tepperwien und Johanna Brumberg erläutern, wie die Stiftung dazu beitragen will, die Rahmenbedingungen für Forschung und Lehre zu verbessern.

Was hat die Stiftung dazu bewogen, mit dem Profilbereich "Wissen über Wissen" Möglichkeiten zu Veränderungen im Wissenschaftssystem zu eröffnen?

Antje Tepperwien: Die Entscheidung für diesen Profilbereich ist ein Ergebnis unseres Strategieprozesses, in dem wir intensiv die Frage diskutiert haben, in welchen Feldern sich die Stiftung künftig engagieren will. Als Wissenschaftsförderin verstehen wir es auch als unsere Aufgabe, dazu beizutragen, die Rahmenbedingungen für Forschung und Lehre zu verbessern. Darum möchten wir uns nun verstärkt kümmern. Wir wollen mehr Wissen über das Wissenschaftssystem und die Funktionsweisen von Wissenschaft generieren und auch praktische Veränderungen anstoßen. Das tun wir zum einen über die Unterstützung von "Pioniervorhaben", die auf strukturelle Veränderungen zielen, und zum anderen durch die Förderung von "Forschung über Wissenschaft".

Wissen wir in Deutschland zu wenig über Wissenschaft? 

Johanna Brumberg: Die Wissenschaftsforschung ist in Deutschland bereits jetzt breit aufgestellt. Doch die verschiedenen Communities, die Forschung über Wissenschaft betreiben, tauschen sich untereinander zum Teil noch wenig aus. Unser Interesse ist, dass sich aus einer eher fragmentierten Landschaft ein gemeinsames Feld entwickelt, in dem der interdisziplinäre Dialog eine große Rolle spielt. Gemeinsam definierte Fragen rund um das Wissenschaftssystem könnten zu interessanten neuen Antworten und auch zu methodischen Innovationen führen. Darin und in einer stärkeren Internationalisierung sehen wir viel Potential.

Antje Tepperwien: Ich würde das gerne unterstreichen. Mit unserem Förderangebot "Forschung über Wissenschaft" haben wir vor allem zwei Stoßrichtungen im Blick: Verknüpfung von Methoden und Intensivierung internationaler Kooperationen. So wollen wir etwa unterstützen, dass methodische oder thematische Impulse, die im Ausland vielleicht schon deutlicher zu erkennen sind, auch hier aufgegriffen werden. So wird es im Rahmen der für diesen Sommer geplanten Ausschreibung von Kooperationsprojekten auch möglich sein, mit internationalen Partner:innen zusammenzuarbeiten und entsprechende Mittel zu beantragen.

Welche inhaltlichen Desiderate sehen Sie, welchen Bereichen sollte sich die Wissenschaftsforschung besonders widmen?

Antje Tepperwien: Es gibt eine Vielzahl von spannenden Themen, die sich oft auch gegenseitig bedingen. Hier zu priorisieren und zu fokussieren, ist eine Herausforderung. Wir wollen gemeinsam mit der Community erarbeiten, was die drängendsten Forschungsfragen sind. 

Wie soll das genau ablaufen?

Johanna Brumberg: Wir laden Wissenschaftler:innen, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven über Wissenschaft forschen, für den 6. und 7. Juli 2022 zur Auftaktveranstaltung "Wissenschaftsforschung im Fokus: Potentiale und neue Perspektiven" ein. Dort soll nicht nur das Forschungsfeld vermessen und kartiert werden, es sollen auch die Herausforderungen, Chancen und Potenziale einer interdisziplinären und methodisch vielfältigen Wissenschaftsforschung diskutiert werden. Es geht darum, die längerfristige Forschungsagenda gemeinsam zu entwickeln, damit am Ende auch tatsächlich die Fragen, Themen und Hypothesen verfolgt werden können, die die Wissenschaftler:innen umtreiben. Wer sich aktiv am Symposium beteiligen und seine Ideen einbringen möchte, kann sich über den Call for Abstracts (PDF) (PDF, 461.2 KB) bewerben.
Wir sind schon gespannt, welche Themen die Community für besonders wichtig und drängend erachtet und welchen ein besonders hohes Transferpotential zugeschrieben wird. Auf dieser Basis wollen wir dann intern nochmals reflektieren und dann bald das Thema der ersten Ausschreibung für Kooperationsprojekte publizieren. Wir denken, das wird im August 2022 soweit sein. Weitere thematische Ausschreibungen sollen dann etwa alle 18 Monate folgen. 

Förderreferentin Dr. Johanna Brumberg ist für den Bereich "Forschung über Wissenschaft" zuständig.

Förderreferentin Dr. Johanna Brumberg ist für den Bereich "Forschung über Wissenschaft" zuständig.

Warum erscheint Ihnen das Format von Kooperationsprojekten als besonders geeignet?

Johanna Brumberg: Zum einen möchten wir mit dem Kooperationsformat die unterschiedlichen Bereiche der Wissenschaftsforschung in gemeinsamen Projekten zusammenbringen. Zum anderen möchten wir Raum zur länderübergreifenden Zusammenarbeit bieten. Im Einzelfall kann es das jeweilige Projekt erfordern, dass man auch mit nicht-wissenschaftlichen Akteuren kooperiert, zum Beispiel Verlagen oder Bibliotheken, gegebenenfalls auch Förderorganisationen. 

An wen wird sich diese Ausschreibung richten?

Johanna Brumberg: Antragsberechtigt sind alle Wissenschaftler:innen nach der Promotion: Damit sprechen wir bewusst jüngere Forschende, aber auch Professor:innen an. Hier wünschen wir uns Kooperationen auf Augenhöhe, auch über Karrierestufen hinweg. Die unterschiedlichen Bereiche der Wissenschaftsforschung, die wir erreichen möchten sind zum Beispiel die Science and Technology Studies, die in ihren Methoden eher geistes- und gesellschaftswissenschaftlich orientiert sind, die quantitativ arbeitenden und datengetriebenen Felder wie die Bibliometrie und die Szientometrie – und dann das, was als Meta Research oder Meta Science bezeichnet wird und Impulse aus der biomedizinischen Forschung, den Neurowissenschaften bzw. der Psychologie aufgreift. Außerdem spielt natürlich die Innovationsforschung eine wichtige Rolle, die sich überwiegend aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften speist. Allein diese Beispiele zeigen die Vielfalt der Disziplinen und Felder, die sich mit Forschung über Wissenschaft befassen.

Gibt es neben den Kooperationsprojekten noch weitere Förderangebote?

Antje Tepperwien: Ja, wir fördern – mit zwei Stichtagen pro Jahr - auch Sommerschulen und Workshops. Damit möchten wir Gelegenheiten schaffen für konzentriertes Reflektieren und Erproben von verschiedenen methodischen Ansätzen oder theoretischen Konzepten der Wissenschaftsforschung. Gleichzeitig sollen diese Veranstaltungen der Qualifikation der nächsten Generation von Forscher:innen in diesem Feld dienen und jüngere Forscher:innen aus anderen Disziplinen an die Forschung über Wissenschaft heranführen. Die kooperativen Forschungsprojekte und die Sommerschulen und Workshops sind aktuell die Kernfördermaßnahmen unseres Angebots in diesem Bereich. Das Feld zeigt jedoch eine hohe Dynamik, an die wir unsere Förderung anpassen werden.

Dr. Antje Tepperwien leitet den Profilbereich "Wissen über Wissen - Reflexion und Praxis der Wissenschaften".

Dr. Antje Tepperwien leitet den Profilbereich "Wissen über Wissen - Reflexion und Praxis der Wissenschaften".

Wie kommen die durch "Forschung über Wissenschaft" gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis?

Antje Tepperwien: Wir haben nicht die Erwartung, dass sich aus jedem Projekt unmittelbar eine praktische Anwendung generieren lässt. Wir wollen Freiraum geben, intellektuell anspruchsvolle Fragen zu stellen und zu beantworten, ohne so etwas wie einen Transferzwang. Dennoch ist unser erklärtes Ziel, dass durch die Forschung gewonnene Erkenntnisse ins System einfließen und es ist uns daher auch wichtig, dass die Forschungsergebnisse zum Beispiel bei entsprechenden Veranstaltungen mit einschlägigen Stakeholdern und Entscheidungsträger:innen geteilt und diskutiert werden.

Was wollen Sie kurzfristig anstoßen und welche Ziele wollen Sie mittelfristig oder langfristig erreichen?

Johanna Brumberg: Zunächst wollen wir einen Impuls in die Community der Wissenschaftsforschung geben und dazu motivieren, intensiver miteinander ins Gespräch zu kommen, Brücken zu bauen. Mittelfristig wünschen wir uns, dass sich die Wissenschaftsforschung hierzulande und die internationale Forschung noch stärker gegenseitig befruchten. Der Blick in andere Systeme ist ja immer ein Gewinn.
Als einen eher langfristig wirksamen Beitrag sehe ich auch, die Forschenden mit Entscheidungsträger:innen in Kontakt zu bringen beziehungsweise zum Dialog mit Praktiker:innen zu motivieren. So soll es zum Abschluss eines jeden Projektes eine Veranstaltung geben, in der die gewonnenen Erkenntnisse reflektiert werden und darüber nachgedacht wird, welche wissenschaftspolitischen Akteur:innen von diesem Wissen profitieren und wie man es bereitstellen kann. Auch denken wir daran, spannende Projektergebnisse in unsere hochschulpolitischen Werkstattgespräche einzubringen und gemeinsam mit den Hochschulleitungen zu diskutieren. Wissenschaftsforschung als notwendiger und wichtiger Wissenspool für das System muss wahrgenommen werden.

Abschließend ein Blick nach innen: Kann die Stiftung selbst von diesen Erkenntnissen profitieren? 

Antje Tepperwien: Ich denke schon. Auch wir sind eine Akteurin im Wissenschaftssystem; Themen wie Begutachtung oder Bewertung von Forschung betreffen das Stiftungshandeln im Kern. Auch wir wollen uns verbessern, möchten unsere Initiativen und Prozesse so konzipieren, dass sie der Wissenschaft möglichst gut entsprechen. Um nur eine für uns relevante Frage zu nennen: Welche Förderformate bewähren sich, welche sind besonders passend in bestimmten fachlichen Kontexten? Das wäre vertan, wenn wir diese Lernchancen nicht nutzen würden. – Das muss uns interessieren.

Johanna Brumberg: Ja, wir wollen natürlich das tun, was wir auch von anderen Akteur:innen erwarten: die Wissenschaftsforschung ernst nehmen als einen Fundus, aus dem man Impulse für strukturelle Veränderungen schöpfen kann.

Denken Sie, dass sich die Rolle der Stiftung durch den neuen Profilbereich, durch dieses Engagement für das Wissenschaftssystem ändern wird?

Antje Tepperwien: Ich würde nicht sagen, dass sich die Rolle so sehr ändert, aber ich glaube, dass dies schon deutlich Einfluss auf unser Handeln hat. Das sieht man auch an der großen Studie zu den Wissenschaftskulturen in Deutschland, die wir gerade mit Joanneum Research aufgesetzt haben. Solche Projekte haben wir früher nicht angestoßen. Natürlich werden wir mit dem neuen Profilbereich "Wissen über Wissen" das System nicht revolutionieren, aber wir wollen stringent das Ziel verfolgen, dazu beizutragen, bessere Rahmenbedingungen für kreative Forschung und innovative Lehre an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu schaffen. Und dafür ist die Förderung von Forschung über Wissenschaft eine wichtige Grundlage.