Selahattin Danisman
Interview

Pioniergeist ist gefragt

Dr. Ulrike Gebhardt

Sechs Fragen an Selahattin Danisman zu einem Förderangebot, das Experimentierraum bietet für engagierte Forschende, die mit ihren Ideen das Wissenschaftssystem verändern wollen.

Die neue Förderinitiative "Pioniervorhaben - Impulse für die Wissenschaft" wird von Selahattin Danisman betreut. Er gibt im Folgenden Auskunft über das Angebot, das Teil des Profilbereichs "Wissen über Wissen – Reflexion und Praxis der Wissenschaften".

Welchen Hintergrund hat die von Ihnen betreute neue Initiative?

In den letzten Jahren wurden wir immer wieder von Forscher:innen angesprochen, die etwas Strukturelles am Wissenschaftsbetrieb ändern wollten. Da waren sehr unterschiedliche, tolle Ideen dabei. Einiges davon konnte aufgegriffen werden, unter anderem im inzwischen beendeten Förderangebot "Hochschule der Zukunft". Mit der neuen Initiative der Pioniervorhaben machen wir nun ein strukturiertes Angebot an die Personen, die ausgetretene Pfade verlassen und etwas an den Rahmenbedingungen von Forschung und Lehre verändern wollen. Vorhaben können sich beispielsweise auf Qualitätssicherung in der Forschung, Open Data, Open Science, innovative Lehrformate, die Administration beziehen, aber auch auf die Vernetzung mit anderen Fachbereichen, Institutionen, außerakademischen Gruppen und Institutionen.

Was verstehen Sie unter einem Pioniervorhaben?

Pioniere machen sich auf den Weg ins Neuland. Sorgfältig geplant, aber ohne zu wissen, ob ihr Vorhaben erfolgreich sein wird, ob sie tatsächlich zum Ziel gelangen werden. Wer sollte sich im Dickicht des Wissenschaftsbetriebes besser auskennen als die Forschenden selbst, aber auch die Wissenschaftsmanager:innen? Häufig können die neuen Wege aber nicht beschritten werden, weil es an Geld, Zeit und Umsetzungsmöglichkeiten fehlt. Mit unserer Förderung geben wir diesen Ideen einen Raum. Wir sagen bewusst "Experimentierraum", weil ausprobiert und getestet werden soll. Und ein Vorhaben darf auch scheitern. Wenn das Experiment gelingt, hat man ein Stück Neuland erobert und andere können folgen.

Wenn das Experiment gelingt, hat man ein Stück Neuland erobert und andere können folgen

An wen richtet sich das Förderangebot?

Wir sprechen Wissenschaftler:innen jeder Fachrichtung ab der Promotion aufwärts an, die an wissenschaftlichen Institutionen und Universitäten in Deutschland tätig sind. Außerdem können Wissenschaftsmanager:innen oder Vertreter:innen aus der Administration Skizzen einreichen. Wir wollen mit diesem Angebot keine Forschung unterstützen, daher werden keine Promotionsstellen oder eigene Stellen der Antragsteller:innen gefördert. Stattdessen wollen wir solche Personen im Wissenschaftsbetrieb ansprechen, die praktische Ideen für Verbesserungen haben und diese neben ihrem Alltagsgeschäft angehen wollen. Das ist mit einem gewissen Risiko verbunden, und somit sollte man wirklich sicher sein, dass man so ein Projekt auch stemmen kann. Und man sollte sich im Zweifelsfall Partner suchen, entweder innerhalb oder außerhalb der Wissenschaft, die bei der Umsetzung der Ideen helfen können oder dafür sorgen können, dass die Projekte langfristig Veränderungen herbeiführen. 

Wie läuft der Auswahlprozessprozess ab?

In der ersten Stufe reichen die Antragsteller:innen ihre Ideen in Skizzenform ein. Die Stiftung prüft vergleichend alle Vorschläge, die zum jeweiligen Stichtag eingegangen sind – der nächste ist am 31. März. Die Verfasser:innen der interessantesten Einreichungen werden in einem zweiten Schritt eingeladen, einen ausführlichen Antrag auf Förderung ihres Vorhabens zu stellen. Eine Jury aus Gutachter:innen, die das Hochschulsystem gut kennen, prüft diese Anträge und spricht dann eine Empfehlung aus, welche Idee gefördert werden soll. In einem letzten Schritt entscheidet dann das Kuratorium der Stiftung auf dieser Basis über eine Bewilligung.

Dr. Selahattin Danisman

Dr. Selahattin Danisman (Foto: Philip Bartz für VolkswagenStiftung)

Was sollte bei der Antragstellung besonders beachtet werden?

Die Antragsteller:innen müssen klar darlegen, inwieweit ihr Vorhaben ein echtes Problem in der Wissenschaft aufgreift und worin ihre sinnvolle und innovative Idee besteht, dieses Problem zu lösen. Wichtig ist auch, wie schon gesagt, die Klärung, ob man die Idee allein umsetzen kann oder ob man andere Personen, Institutionen, Netzwerke braucht. Die Antragsteller:innen sollten sich rechtzeitig Gedanken darüber machen, was geschehen muss, wenn das Vorhaben gelingt: Was ist alles notwendig, damit es sich aus dem Experimentierraum herausheben lässt, damit die Verbesserung auf einer größeren, höheren Ebene umgesetzt und wirksam werden kann?

Als erstes Pioniervorhaben wird das COReS-Projekt von Sarah McCann gefördert. Was zeichnet dieses Projekt aus, warum kann es aus Ihrer Sicht als "role model" für andere Vorhaben dienen?

Dr. McCann geht ein bekanntes und wichtiges Problem der biomedizinischen Grundlagenforschung an. Ihr Vorhaben "COReS: Communities for Open Research Synthesis - accelerating translation of biomedical evidence" konnte deshalb überzeugen, weil alle wichtigen Punkte für die Umsetzung berücksichtigt sind: Neben einer klaren Beschreibung des Desiderats hat sie einen überzeugenden Plan vorgelegt, was gemacht werden soll, wer mit einbezogen werden muss und was im Anschluss an das Projekt geschehen soll – und nicht zuletzt, woran man feststellen kann, dass es erfolgreich war. Sollte Dr. McCanns Vorhaben so gelingen wie geplant, hätten wir ein gutes Beispiel, wie man mittels Open Science einen besseren Überblick über präklinische Forschung erlangen kann, um bessere Entscheidungen über zukünftige präklinische und klinische Studien zu treffen zu können. Das spart Geld, da es die Dopplung von Studien vermeidet und es verringert auch die Zahl von Tierexperimenten. Ich wünsche Sarah McCann viel Glück und Erfolg - wir verfolgen gespannt die Realisierung ihres Vorhabens. 

Die Neurowissenschaftlerin Sarah McCann will biomedizinische Forschung hochwertiger und reproduzierbarer machen. Die VolkswagenStiftung fördert ihr Projekt als Pioniervorhaben im neuen Profilbereich Wissen über Wissen.

Interview zum ersten Pioniervorhaben

Sarah McCann hat ein ehrgeiziges Ziel und eine feste Überzeugung: Nur durch Offenlegung und Vernetzung biomedizinischer Daten und in einem Wissenschaftssystem, in dem sich jeder als Teil eines großen Teams versteht, kann Forschung wirklich erfolgreich sein. Dr. Ulrike Gebhardt sprach mit ihr zu ihrem Pioniervorhaben: "Communities for Open Research Synthesis".

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