"Die Diskussion ist überfällig" – Opus Primum Preisträgerin spricht über den Einsatz der "Genschere"

Für ihr Werk "Die Technikfolgenabschätzung des CRISPR/Cas-Systems" wird Annika Hardt in diesem Jahr mit dem Opus Primum Förderpreis für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler (dotiert mit 10.000 Euro) ausgezeichnet. Im Interview erzählt sie vom Buch und ihren Recherchen dazu.

Während in Deutschland und anderen Staaten noch über die Veränderung des Genoms menschlicher Keimzellen und Embryonen äußerst kontrovers diskutiert wird, kamen in China im November 2018 bereits die ersten geneditierten Zwillinge zur Welt. Welchen Folgen kann aber der Einsatz von Methoden wie CRISPR/Cas (landläufig auch als "Genschere" bezeichnet) zum gezielten Editieren des Erbguts beispielsweise eines Embryos haben – etwa mit Blick auf den Begriff der Menschenwürde? Annika Hardt setzt sich in ihrem nun mit dem Opus-Primum-Preis 2019 prämierten Werk "Die Technikfolgenabschätzung des CRISPR/Cas-Systems" mit komplexen Fragen der Bioethik auseinander: Sollte im Namen der Wissenschaft oder für medizinische Behandlungen alles erlaubt sein, was technisch möglich ist? Oder wirken im Gegenteil bestehende Regularien dem Fortschritt in Medizin und Technik entgegen? Und wer trägt eigentlich die moralische, wer die ethische Verantwortung für die Folgen des Fortschritts bei Genomeditierungen und ihres Einsatzes als therapeutisches Mittel? Das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro geht an die Autorin und ist zur ihrer eigenen Weiterbildung im Forschungsfeld, dem Besuch von wissenschaftlichen Konferenzen oder für weitere Forschungsvorhaben gedacht. Im Interview erzählt sie, was sie bewogen hat, sich dem Thema zu widmen.

Die CRISPR/Cas-Methode – gemeinhin auch als "Genschere" bezeichnet – wurde 2012 bereits entwickelt. Warum haben Sie es gerade jetzt für notwendig erachtet, eine detaillierte Technikfolgenabschätzung zu verfassen?

Annika Hardt: Das ist richtig, die Methode wurde bereits 2012 beschrieben. Die Enzyme selbst sogar noch deutlich früher, und tatsächlich ist die gesamte Diskussion um gezielte Eingriffe in die menschliche Keimbahn nicht gänzlich neu. Doch 2015 wurde das allererste Mal überhaupt der Versuch eines solchen Eingriffs in das Erbgut menschlicher Embryonen via CRISPR/Cas veröffentlicht, aus China. Als ich kurz zuvor angefangen hatte, mich für das Thema zu interessieren, musste ich schnell feststellen, dass längst kein Konsens über die ethischen, medizinischen, rechtlichen und sozialen Implikationen von Keimbahninterventionen herrschte.

Es existierte zwar eine Fülle an Literatur, vor allem zu einzelnen, auch aus anderen bioethischen Kontroversen bekannten Argumenten. Es gab auch Zusammenführungen und Gegenüberstellungen verschiedener Begründungsmuster im konkreten Kontext, insbesondere in größeren Stellungnahmen. Aber es gab kaum Arbeiten, die sich sowohl kritisch mit den jeweils einzelnen Aspekten als auch mit deren Beziehung zueinander im besonderen Kontext von Keimbahnintervention auseinandersetzten.

Diese Lücke wollten Sie mit Werk schließen?

Annika Hardt: Nach der ersten Veröffentlichung über Versuche, die Keimbahn menschlicher Embryonen zu verändern, haben viele zunächst ein weltweites Moratorium, nach und nach einige aber auch eine Aufweichung der rechtlichen Grundlagen zur Erforschung der Methode gefordert. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist deutlich geworden, dass die Diskussion überfällig ist. Im Ausland ist mittlerweile einiges passiert, vor recht genau einem Jahr sollen in China bereits die ersten per CRISPR/Cas editieren Zwillinge geboren worden sein – auch andere Länder haben Versuche zu Keimbahneingriffen veröffentlicht. Zuletzt hat ein russischer Biologe bestätigt, "CRISPR-Babys" erzeugen zu wollen.

Da die Debatte nicht zuletzt gesellschaftlich geführt werden sollte, muss die Gesellschaft auch umfassend über die vielen zu berücksichtigenden Implikationen informiert sein. Dazu wollte ich einen Teil beitragen und so habe ich 2015 meine Recherchen zum Thema begonnen.

Ist angesichts der bereits vorgenommenen Versuche im Ausland gerade der deutsche Blickwinkel ein besonderer in der internationalen Debatte?

Annika Hardt: Zunächst einmal ist Deutschland bei weitem nicht das einzige Land, das eine Keimbahnmanipulation nach wie vor restriktiv reguliert. Besonders ist in der Tat das in Deutschland geltende Embryonenschutzgesetz, das einen Eingriff in die menschliche Keimbahn – jedenfalls an Embryonen und Zellen, die zu einer Schwangerschaft führen sollen – per Strafgesetz verbietet. Es sind hierzulande längst Stimmen laut geworden, das Gesetz hinsichtlich der Erforschung solcher Methoden zu lockern. Dazu muss allerdings unbedingt noch einmal betont werden, dass die Diskussion um ethische, medizinische und soziale Aspekte etwaiger Keimbahnveränderungen nicht abgeschlossen ist. Diese Debatte sollte Forderungen nach der Änderung eines gut begründeten Strafgesetzes unbedingt vorangehen. Die durch unter anderem das Embryonenschutzgesetz sogesehen besondere Stellung Deutschlands könnte auch als vorbildhaft in der internationalen Diskussion angesehen werden.

Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert, die der weiteren Forschung oder Fortbildung im Forschungsgebiet dienen. Wissen Sie schon, was Sie damit anfangen wollen? Können wir uns vielleicht auf ein weiteres spannendes Buch freuen?

Annika Hardt: Ganz aktuell steht für mich das dritte medizinische Staatsexamen an und es laufen Bewerbungen für die anschließende klinische Weiterbildung als Assistenzärztin. Ich verfolge selbstverständlich aufmerksam die Diskussion und Ereignisse und kann mir sehr gut vorstellen, wissenschaftlich und schreiberisch aktiv zu bleiben. Der Preis eröffnet hier tolle Möglichkeiten, für die ich sehr, sehr dankbar bin! Es bleibt also spannend.

Biografische Daten

Annika Hardt (Jg. 1986) ist Medizinerin und arbeitet in der Forschungsgruppe "Ethik in der Informationstechnologie" an der Universität Hamburg. Als Doktorandin war sie unter anderem im Fachbereich der Klinik für Stammzelltransplantation sowie beim Forschungsschwerpunkt "Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt" der Uni Hamburg tätig. Aktuell schließt sie das Studium der Humanmedizin am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf ab und strebt an, sich als Assistenzärztin im Fachbereich der (Radio)Onkologie weiterzubilden und wissenschaftlich zu engagieren.

Bibliografische Angabe

"Technikfolgenabschätzung des CRISPR/Cas-Systems. Über die Anwendung in der menschlichen Keimbahn", Annika Hardt; De Gruyter; 312 Seiten, 49,95 Euro

Hintergrundinformationen zum Förderpreis Opus Primum

Mit dem Förderpreis Opus Primum möchte die VolkswagenStiftung den wissenschaftlichen Nachwuchs stärken und hervorheben, dass Wissenschaftsvermittlung für die deutsche Forschung eine zentrale Aufgabe ist. Die Auszeichnung wird seit 2011 jährlich für eine deutschsprachige Publikation von hoher wissenschaftlicher Qualität vergeben, die gut lesbar geschrieben und auch einem breiteren Publikum verständlich ist.

Link zu den bisherigen Gewinnerinnen und Gewinner des Förderpreises Opus Primum.