Zur Brisanz ethnografischer Objekte - 1,2 Mio. Euro für Provenienzforschung in Niedersachsen 

Die Geschichte der Bestände der ethnografischen Sammlungen in Hannover, Göttingen, Oldenburg, Hildesheim und Braunschweig steht in den nächsten drei Jahren im Fokus eines großen Verbundprojekts.

Nicht zuletzt die kontroversen Diskussionen zur Konzeption des Humboldt-Forums im wiedererrichteten Berliner Stadtschloss haben das Bewusstsein auch einer breiteren Öffentlichkeit für die problematische Genese außereuropäischer Sammlungen und für das Thema Provenienzforschung geschärft. Unter der Federführung des Landesmuseums Hannover werden jetzt die Sammlungen in Göttingen (Georg-August-Universität), Oldenburg (Landesmuseum Natur und Mensch), Hildesheim (Roemer- und Pelizaeus-Museum) und Braunschweig (Städtisches Museum) der Frage nachgehen, unter welchen rechtlichen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftspolitischen Bedingungen Ethnographica in der Kolonialzeit – und den angrenzenden Jahrzehnten – ihre Wege nach Europa fanden. Beantwortet werden soll auch, welche Wirkung diese Objekte hier entfalteten – ob sie zum Beispiel zur Legitimation kolonialer Herrschaft beitrugen, ethnologisches oder kunstgeschichtliches Wissen verbreiteten oder etwa in »Völkerschauen« vor allem der Unterhaltung dienten.

Die Provenienzforschung zu ethnografischen Objekten wird durch ein Verbundprojekt in Niedersachsen vorangetrieben. (Foto: K. Schmidt/Landesmuseum Hannover)

Von der engen Zusammenarbeit der Museen untereinander und mit den Bereichen Geschichtswissenschaft, Ethnologie und Rechtswissenschaften (an der Georg-August-Universität Göttingen und der Leibniz Universität Hannover) werden neue Perspektiven auf zentrale Fragen der sich wandelnden kulturgeschichtlichen, rechtlichen und moralisch-ethischen Rahmenbedingungen des Sammelns und Bewahrens erwartet. In insgesamt sieben Teilprojekten werden Objekt- und Sammlungsbiografien, Herkunftsarten und Erwerbsgeschichten sowie Strategien und Praktiken der involvierten Akteure, ihre Handlungsspielräume und Ressourcen erforscht. Im Rahmen von regelmäßigen Workshops sollen die Ergebnisse und verschiedenen Perspektiven kontinuierlich miteinander in Bezug gesetzt werden. Daran sind auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Herkunftsländern der Objekte beteiligt.

Das Verbundprojekt "Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen" wird von der VolkswagenStiftung mit rund 1,2 Millionen Euro gefördert. Das Vorhaben will einen Beitrag sowohl zu den jüngeren internationalen Debatten über das koloniale Erbe der Ethnologie als auch zur internationalen Recherchier- und Erforschbarkeit solcher Bestände sowie zu deren politischen, rechtlichen und ethischen Dimensionen leisten. Zugleich soll mit einem innovativen und transparenten Umgang mit außereuropäischen Kulturgütern ein kulturpolitisches Zeichen gesetzt werden. 

Figur eines Soldaten – Beispiel für eine sogenannte Colon-Darstellung (Kamerun oder Rep. Kongo, vor 1911?; Foto: K. Schmidt/Landesmuseum Hannover)