Von Nylonstrümpfen, Partnerwahl und der Aussicht auf finanzielle Unterstützung

Freigeist-Fellow Dr. Barbara Caspers erforscht die Funktion des Verwandtengeruchs an Zebrafinken.

Jede Mutter kann ihr Kind am Geruch erkennen und jedes Kind seine Mutter. Diese Fähigkeit wird innerhalb der ersten Tage nach der Geburt erlernt. Aber spielt der Verwandtengeruch auch außerhalb der Mutter-Kind-Beziehung eine Rolle, etwa bei der Suche nach einem geeigneten Partner? Und wie entsteht der Körpergeruch, der uns Informationen über Verwandtschaft verrät? Diesen Fragen widmet sich die Biologin Dr. Barbara Caspers von der Universität Bielefeld in ihrem Vorhaben "Functions and Mechanism of Olfactory Kin Recognition in an Avian Model System". Dabei wird sie von der VolkswagenStiftung mit einem Freigeist-Fellowship unterstützt.

Liebe Frau Caspers, was fasziniert Sie an Gerüchen?
Ich finde es spannend, dass Gerüche zwar omnipräsent sind, die Rolle des Geruchssinns aber sehr vernachlässigt wird. Wir messen dem Geruch kaum Bedeutung bei und halten ihn für unwichtig. Dem ist aber nicht so.

Warum nicht?
Nun, der Geruch ist sehr stark mit Emotionen verbunden. Wenn wir zum Beispiel unser Lieblingsessen riechen, dann freuen wir uns und produzieren automatisch Speichel. Wenn wir aber etwas riechen, dass wir eher abstoßend finden, dann essen wir es nicht.
Und auch für im täglichen Miteinander spielt der Geruch eine große Rolle: Ob wir jemanden sympathisch finden oder uns wohlfühlen, diese eigentlich emotionalen Faktoren sind ebenso davon abhängig, ob wir den Geruch des anderen mögen oder nicht.

Dr. Barbara Caspers (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)

Wie sehen dann die anschließenden Experimente aus?
Wir können anhand unserer Experimente beispielsweise zeigen, dass Zebrafinken Individuen ihrer eigenen Art am Geruch erkennen. Wir testen zum Beispiel, ob Zebrafinken in der Lage sind, einen Zebrafinken von einem Diamantfinken zu unterscheiden. Das Experiment sieht dann grob geschildert folgendermaßen aus: Um überhaupt erst einmal den Körpergeruch von den Vögeln zu gewinnen, stecken wir die Vögel in einen dunklen Damen-Baumwoll-Nylon-Socken. Wir halten sie dann eine halbe Stunde in dem Socken und nutzen diesen anschließend als Geruchsstimulus für unsere Experimente im speziellen Y-Labyrinth. Dort können wir dann beobachten, dass die Zebrafinken häufiger den Arm des Labyrinthes auswählen, in dem sich der Geruch der eigenen Art befindet.

Das lässt Rückschlüsse auf Interaktionsmuster zu. Können Sie bereits eine Aussage darüber machen, welche soziale Rolle der Geruch spielen könnte?
Eigentlich sind Zebrafinken – wie nahezu alle Vögel – visuell und akustisch dominiert, das heißt: Natürlich spielen der Gesang und die Gefiederzeichnung eine große Rolle. Wir denken aber, dass der Geruch wichtig ist, um beispielsweise bei der Partnerwahl Verwandte von Nicht-Verwandten zu unterscheiden, damit die Nachteile einer inzestuösen Fortpflanzung schon im Vorhinein ausgeschlossen werden.

Sie haben gesagt, dass die Besonderheit bei Vögeln darin besteht, dass man die Vogeleier in ein anderes Nest umsetzen und dann von anderen sozialen Eltern ausbrüten lassen kann. Gibt es hier bereits Erkenntnisse, wie sich das auf die Jungtiere auswirkt?
Ja, wir setzen die Vogeleier um, um zu testen, ob die Tiere später den Geruch des Nestes, aus dem sie geschlüpft sind, oder aber den Nestgeruch der genetischen Eltern bevorzugen. Es lässt sich feststellen, dass die Vögel – wenn wir sie als Küken direkt nach dem Schlupf in ein anderes Nest gesetzt haben – später immer noch den Geruch der genetischen Eltern suchen, auch wenn sie diesen seit dem Tausch, also für den Großteil ihres bisherigen Lebens, gar nicht mehr wahrgenommen haben. Das führt zu der Annahme, dass Zebrafinken also entweder ein ganz extremes Langzeitgedächtnis für den elterlichen Nestgeruch besitzen oder aber ihre Zusammengehörigkeit direkt am Geruch erkennen können. Wenn wir die Vögel allerdings vor dem Schlupf tauschen, bevorzugen sie hingegen das Nest, in dem sie geschlüpft sind. Das deutet wiederum darauf hin, dass der Familiengeruch mit dem Zeitpunkt des Schlüpfens gelernt wird und eine Prägung auf den Familiengeruch stattfindet.

Was lässt sich über die Rolle des Geruchs innerhalb der Familie feststellen? Profitieren die Vögel von einem familiären Zusammenhalt?
Wir führen gerade Experimente durch, in denen wir untersuchen, ob Jungtiere bereits in der Lage sind, Eltern von fremden Tieren zu unterscheiden. Und da sieht es so aus, als seien sie dazu in der Lage, Familienmitglieder am Geruch zu erkennen. Da können wir leider noch nicht viel mehr zu sagen. Ich gehe aber davon aus, dass dieser Familiengeruch lebenslang eine Rolle spielt, z.B. um auszuschließen, dass man sich mit unbekannten Geschwistern aus späteren Bruten verpaart. Es gibt aber auch Arten, bei denen sich nah verwandte Individuen in bestimmten Situationen, z. B. bei der Aufzucht der Jungen, helfen. Der Familiengeruch könnte dabei das bindende Glied sein und somit eine Rolle spielen.

Dr. Barbara Caspers (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)

Interessant ist, dass Sie zuvor den Geruch unter anderem an Feuersalamandern erforscht haben. Stellen Sie hier Parallelen fest?
Ja, ich profitiere davon, dass ich vorher in andere Systeme geschnuppert habe und mit Säugetieren und Amphibien experimentiert habe. Feuersalamander können beispielsweise das Geschlecht potentieller Partner am Geruch erkennen, den die Tiere auf dem Boden hinterlassen. Sowohl Männchen, als auch Weibchen bevorzugen den Geruch des jeweils anderen Geschlechts. Somit finden sich die Paare in der dunklen Nacht. Viele der Erkenntnisse auf dem Gebiet der Geruchsforschung stammen von Säugetieren und Amphibien. Erstaunlicherweise wurde eine der ersten Studien, die zeigen konnte, dass Individuen Nahverwandte an Hand des Geruches erkennen, an Amphibien durchgeführt. Einen direkten Nachweis, dass nahverwandte Individuen ähnlicher riechen, als unverwandte Individuen konnten wir gerade bei Seebären erbringen.

Sowohl bei Säugetieren, als auch bei Amphibien spielt der Geruchssinn eine große Rolle und Wissenschaftler haben sich lange mit den zugrunde liegenden Theorien beschäftigt. Auf dieses Gerüst kann ich jetzt bei meiner Arbeit mit den Zebrafinken zurückgreifen. Umso erstaunlicher finde ich jetzt die Erfahrung, dass diese Theorien bei den Vögeln so angezweifelt werden, einfach weil man Vögeln lange diese Fähigkeit nicht zugeschrieben hat.

Und können Ihre Erkenntnisse aus der Vogelwelt wiederum für andere Lebewesen relevant sein?
Ein Stück weit bestimmt. Dass Nahverwandte ähnlich riechen, ist eigentlich ein allgemeingültiges Gesetz, auch wenn ein direkter Beweis bisher nur sehr selten erbracht wurde. Wenn wir jetzt noch verstehen, warum das so ist, dann kann das durchaus für andere Lebewesen, vielleicht auch für den Menschen, interessant sein kann. Wer weiß, vielleicht wird es irgendwann möglich sein, den passenden Organspender am Geruch zu erkennen…

 

Dr. Barbara Caspers (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)

Mit welchen Schwierigkeiten rechnen Sie eigentlich?
Es ist oft der Fall, dass wir ein Experiment mit einer bestimmten Annahme starten – und dann häufig genau das Gegenteil passiert, so dass wir dann mit einer beantworteten Frage gleich zehn neue Fragen aufwerfen. Für mich als Wissenschaftlerin ein paradiesischer Zustand. Ein größeres Problem stellt für uns aber die Akzeptanz in der Scientific Community, speziell in unserem Forschungsfeld, dar.

Inwiefern?
Weil es immer noch Kollegen gibt, die Zweifel an der Fähigkeit, dass Vögel riechen können, oder an der Sinnhaftigkeit unserer Forschung äußern. In einem Gutachten zu einer unserer ersten Arbeiten darüber, dass Zebrafinken ihr Nest am Geruch erkennen, wurde unsere Forschung zwar gelobt, aber auch offen angezweifelt, dass wir jemals finanzielle Unterstützung oder gar wissenschaftliche Anerkennung dafür gewinnen würden.

Dennoch haben Sie sich nicht entmutigen lassen. Wie würde Ihr Plädoyer dafür aussehen, Ihren Ansatz eben doch weiter zu verfolgen?
Nun, ich bin der Überzeugung, dass neue Ideen und Erkenntnisse – auch wenn sie sich nicht auf den ersten Blick in ihrem vollen Umfang erschließen – durchaus eine Daseinsberechtigung besitzen. Man sollte ihnen nachgehen, um auch neue Perspektiven auf wissenschaftliche Themen und neue Durchbrüche zu ermöglichen.

Kam deshalb auch das Freigeist-Fellowship für Sie genau rechtzeitig?
Ja, in der Ausschreibung habe ich den Text gelesen: "Ein Freigeist schwimmt – wenn nötig – gegen den Strom und hat Spaß am kreativen Umgang mit Unerwartetem." Das Fellowship passte also super zu meinem Vorhaben – zumal wir innerhalb meines jetzt neu zusammengestellten Teams auch viele Disziplinen miteinander verbinden. Das wären beispielsweise: Chemie - wir analysieren die chemischen Substanzen, die beim Körpergeruch eine Rolle spielen. Dann schauen wir uns andererseits die Bakterien an und sind mit Mikrobiologen unterwegs. Und ganz zum Schluss sehen wir uns das Verhalten der Tiere an, um nicht nur die Entstehung des Geruchs zu klären, sondern vor allem zu untersuchen, was der Vogel mit dem Geruch macht. Es ist wirklich wunderbar, dass wir nun richtig damit loslegen können.
Neben der materiellen Sicherheit für die nächsten Jahre ist übrigens auch die ideelle Förderung durch die Stiftung, etwa durch den intensiven Austausch untereinander und die vielen zusätzlichen Angebote, nicht zu verachten.

Liebe Frau Caspers, haben Sie vielen Dank für das offene Gespräch. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit und hoffe, dass Sie zukünftig viele Kolleginnen und Kollegen von Ihrem Anliegen überzeugen werden!

Das Interview führte Andrea Oechtering    

Mehr Informationen finden Sie unter: www.volkswagenstiftung.de/freigeist-fellowships

Dr. Barbara Caspers (Foto: Mirko Krenzel für VolkswagenStiftung)