Vom Schaden durch Wettbewerb

Wissenschaftlicher Wettbewerb kann mangelnde Reproduzierbarkeit fördern, so eine aktuelle Simulationsstudie von Oliver Braganza vom Universitätsklinikum Bonn. In einem Forschungsprojekt entwickelt er unter dem Stichwort "Proxyeconomics" eine Theorie des Wettbewerbs, die auch außerhalb der Wissenschaft Fehlentwicklungen erklären könnte.

Oliver Braganza, Postdoc am Life & Brain Center des Universitätsklinikums Bonn, beschäftigt sich mit der Problematik von sogenannten Proxymaßen, also von Annäherungsmaßen für etwas, das nicht selbst gemessen werden kann – wie etwa das wissenschaftliche Potential eines Forschers. Mitte März hat er bei der Online-Fachzeitschrift plos one die Simulationsstudie "A simple model suggesting economically rational sample-size choice drives irreproducibility" publiziert.

"Die Studie zeigt, dass ökonomische Kräfte im wissenschaftlichen Wettbewerb zu kleinen Stichproben und nicht reproduzierbaren Ergebnissen führen können. Die Simulation illustriert, wie imperfekte Proxymaße, hier die Publikationsliste eines Wissenschaftlers, das eigentliche Ziel eines gesellschaftlichen Wettbewerbs, in diesem Fall die wissenschaftliche Qualität, unterminieren können", so Braganza.

Die aktuelle Studie sei als Fallbeispiel eines viel generelleren Phänomens zu betrachten. Denn nicht nur in der Wissenschaft, sondern in vielen Bereichen der Gesellschaft werde auf Wettbewerb gesetzt, um gesellschaftliche Ziele besser zu erreichen. Auch hier hänge der Wettbewerb aufgrund unvollständiger Informationen jedoch im Allgemeinen von quantitativen Proxymaßen ab, um die Leistung zu bewerten. Dies führe zu einer zunehmenden Verwendung solcher "Proxies" in modernen Gesellschaften: "In der Wissenschaft beispielsweise sind dies die Anzahl der Veröffentlichungen eines Autors, im Gesundheitswesen die Anzahl der behandelten Patienten oder in der Wirtschaft der erzielte Gewinn."  Beachtenswert sei, dass unter vielen Umständen Entscheidungen getroffen werden, die die "Proxy-Leistung" optimieren, nicht aber das eigentliche gesellschaftliche Ziel, also etwa gute Forschung, eine gesunde Bevölkerung oder eine stabile, Wohlstand garantierende Wirtschaft.  

Warum sich individuelle Entscheidungen und kulturelle Praktiken vom gesellschaftlichen Ziel weg und hin zum entsprechenden Proxy verschieben, steht auch im Zentrum von Oliver Braganzas Forschungsprojekt "Proxyeconomics - A transdisciplinary theory of competition with imperfect information", das die Stiftung im Rahmen ihrer Initiative "Originalitätsverdacht?" fördert. In seiner Theorie verbindet der Wissenschaftler ökonomische Modelle mit Konzepten der Informatik, Psychologie und Soziologie. Die zentrale These lautet, dass jedes Proxymaß, mit Hilfe dessen ein gesellschaftlicher Wettbewerb ausgetragen wird, zum Ziel der Wettbewerber wird, und dass dies unweigerlich die Korruption des Maßes befördert. Solche 'unweigerliche Korruption' ist schon seit langem als Campbell’s oder auch Goodhart’s Gesetz bekannt. Neu ist aber der Schluss, dass die zugrundeliegenden Mechanismen in nahezu jedem gesellschaftlichen Wettbewerb zu erwarten sind.

Braganza will untersuchen, inwiefern Wettbewerbe dazu tendieren, sich zunehmend um Proxymaße zu drehen, und dies jeweils das eigentliche gesellschaftliche Ziel unterminiert. Ziel seiner transdisziplinären Theorie ist es zum einen, die zugrundeliegenden Korruptionsmechanismen genauer zu verstehen und zweitens Methoden aufzuzeigen, wie eine exzessive Proxy-Orientierung in realen gesellschaftlichen Systemen detektiert und bekämpft werden kann. 

Im sportlichen Wettbewerb wird die Qualität von Läufern über die Geschwindigkeit ermittelt. Aber welche Parameter entscheiden im wissenschaftlichen oder sonstigen gesellschaftlichen Wettbewerben? (Foto: Martin Schlecht - stock.adobe.com)