Verschwunden – nur der Name bleibt

Der dritte Teil der 14er-Veranstaltungsreihe warf kulturhistorische Blicke auf das Grauen des Ersten Weltkriegs und die Folgen für die Erinnerungskultur.

In den letzten Jahrhunderten haben die Jahre mit der Endziffer 14 in der Beziehung zwischen Großbritannien und Hannover eine wichtige Rolle gespielt. 1714 bestiegen die Welfen in London den Thron, 1814 folgte dem Sturz Napoleons der Wiener Kongress, bei dem Hannover zum Königreich erhoben wurde,1914 standen sich Deutschland und Großbritannien im ersten Weltkrieg als Feinde gegenüber. Nun, im Jahr 2014, anlässlich des Jubiläums der Personalunion, beleuchtet die VolkswagenStiftung mit einer vierteiligen Veranstaltungsreihe "14! Deutsch-britische Collagen" die wechselhafte Beziehung zwischen Deutschland und Großbritannien – im Rahmenprogramm der Niedersächsischen Landesausstellung. In seiner Begrüßung zum dritten Abend führte Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung, die Gäste im Auditorium von Schloss Herrenhausen auch kurz in das Thema ein.

Das Grauen des Krieges

Beeindruckend und bedrückend war die Auftaktlesung des hannoverschen Schauspielers Harald Schandry, mit Romanauszügen von Wilhelm Lamszus ("Das Menschenschlachthaus") und Erich Maria Remarque ("Im Westen nichts Neues") und mit einem Brief des 18-jährigen Kriegsfreiwilligen Hans Bucky an seine Eltern.

In seinem  Vortrag mit dem Titel "Missing sons: War as a vanishing act" machte der amerikanische Historiker Dr. Jay Winter, Professor in Yale, deutlich, wie die  "Urkatastrophe" Erster Weltkrieg von der "industrialisierten Gewalt" bestimmt wurde, das heißt vor allem durch den Einsatz moderner Artillerie. Die verheerende Wirkung der neuen Waffensysteme und der zermürbende Stellungskrieg versetzten die Soldaten auf allen Seiten in Todesangst und führten zu hohen Verlusten.

Die verschwundenen Söhne

Der blutige Kampf mit den modernen Waffen machte die Identifizierung der massenhaft Gefallenen auf den Schlachtfeldern schwierig, häufig sogar unmöglich. Wer  nicht zum nächsten Appell erschien, galt als vermisst. Dies konnte zunächst vieles bedeuten: Gefangen genommen, verletzt, verrückt geworden, umgebracht – im Kriegschaos konnte darüber oft keine eindeutige Aussage gemacht werden.

Die Gäste des dritten Teils der Veranstaltungsreihe "14 ! Deutsch-Britische Collagen" lauschten gebannt den Ausführungen des Vortragenden.

Das Rote Kreuz suchte überall nach Informationen über ihren Verbleib. Manche wurden in Krankenhäusern oder Kriegsgefangenenlagern gefunden, doch die meisten blieben spurlos verschwunden. Wer Nachricht über den Tod eines Angehörigen erhielt, hatte noch Glück, denn viele wussten gar nicht, was mit den Verschwundenen geschehen war. "Die Hälfte der zehn Millionen Gefallenen konnte nicht identifiziert und entsprechend bestattet werden. Der Krieg hat sie nicht nur umgebracht, er ließ sie einfach verschwinden", betonte Winter.

Der Name bleibt

Das Verschwinden machte es vielen Familien schwer, den Verlust ihrer Söhne, Brüder und Ehemänner zu verarbeiten. Um ihnen einen Ort für ihre Trauer zu bieten und die vielen Gefallenen zu ehren, wurden überall lokale Gedenkstätten errichtet, in die die Namen der Soldaten graviert wurden. Es entstand aus kulturhistorischer Sicht eine besondere Art der Toten zu gedenken: Der Namenskult. Nur eines von vielen Beispielen ist das Thiepval Denkmal von Lutyens mit den Namen der 73.000 Gefallenen/Vermissten der Schlacht an der Somme. Den Namen eines geliebten Menschen auf den Gedenktafeln zu berühren, wurde für viele zu einem immens wichtigen Akt: Es half ihnen, den Verlust zu begreifen. Seither lässt sich diese Geste immer wieder bei Trauernden beobachten, beispielsweise nach dem Vietnam-Krieg oder den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001. Darin sieht Winter, dass die kulturhistorischen Folgen des ersten Weltkrieges bis in die heutige Zeit reichen.

Tradition versus Moderne

Zum Abschluss seines Vortrags eröffnete der amerikanische Historiker mit einem Blick auf die damaligen künstlerischen Entwicklungen eine ganz andere Perspektive auf die Auswirkungen des Kriegs. Der französische Autor Guillaume Apollinaire erfand den Begriff "Surrealismus" nur wenige Monate, bevor das Massensterben in den Schützengräben an der Westfront die Visionen der Avantgardisten bei weitem übertraf. Doch neben den vielen revolutionären, provokanten Impulsen, die der Krieg in der Kunst auslöste, setzte er, so Winter, auch eine gegenrevolutionäre Bewegung in Gang: "Der Krieg drehte gewissermaßen die Zeit zurück und ließ viele Künstler ihren inneren Patriotismus entdecken. So wurde die internationale Allianz der Visionäre eines der ersten Opfer des Krieges." Anna Ullrich

Auch die Lesung von Literatur aus Zeiten des Ersten Weltkriegs durch Harald Schandry trug zu einem umfassenden Blick auf die Schrecken der Kämpfe bei.
Die VolkswagenStiftung hatte zum dritten Teil der Veranstaltungsreihe "14 ! Deutsch-Britische Collagen" geladen.
Die einleitenden Worte für den Abend mit dem Titel "1914 – Zwischen den Fronten des ersten Weltkriegs" hielt Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung.
Zur Einstimmung auf den folgenden Vortrag las Harald Schandry Literatur aus Zeiten des Ersten Weltkriegs vor, was zu einem umfassenden Blick auf die Schrecken der Kämpfe beitrug.
Der Vortrag von Prof. Dr. Jay Winter von der Yale University / Cambridge University trug den Titel „Missing sons: War as a vanishing act“.
Darin berichtete er von den Folgen des blutigen Kampfes mit den modernen Waffen des Ersten Weltkriegs.
Das Verschwinden der Söhne, Brüder und Ehemänner und die Auswirkungen auf ihre Familien waren das Kernthema von Winter.