Strickstunde für Roboter

In ihrer Initiative "Originalitätsverdacht?" ermöglicht die VolkswagenStiftung einem Forschungsteam an der TU Berlin, Zukunftsvisionen der Kooperation zwischen Robotern und Menschen zu erarbeiten. Dabei dient die Verknüpfung der klassischen Handarbeit Stricken mit modernster Robotertechnologie als experimenteller Brückenschlag.

Sie schweißen Autoteile zusammen, steuern Flugzeuge oder kicken in Fußballmannschaften: Roboter sind schon länger zu komplexen Leistungen fähig. Zunehmend treten die Maschinen dabei auch in direkte Interaktion mit den Menschen und werden künftig mit ihnen Seite an Seite arbeiten, zum Beispiel im Pflegebereich. Die Schnittstellen der Zusammenarbeit von Menschen und Robotern stehen im Zentrum des Interesses von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Technischen Universität Berlin: In ihrem Projekt mit dem Titel "Träumen Roboter vom Stricken? Neucodierungen der Zusammenarbeit von Roboter und Mensch" bringen sie Roboterarmen das Stricken bei. Für Soziologin Dr. Pat Treusch und ihr Team ist die Zusammenführung von High-End-Technik und klassischer Handarbeit ein experimenteller Brückenschlag. Stricken als spezifische Tätigkeit der Hände wird als Kulturtechnik mit vielschichtigen Dimensionen gesehen, die als Basis für unterschiedliche Forschungsperspektiven dienen. Die VolkswagenStiftung finanziert das Vorhaben  im Rahmen ihrer Initiative "Originalitätsverdacht? Neue Optionen für die Geistes- und Kulturwissenschaften".

Pat Treusch ist an der TU Berlin im Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung und im Fachgebiet Allgemeine Historische Erziehungswissenschaft tätig. Für ihr Vorhaben kooperiert sie mit der Nachwuchsforschergruppe "MTI-engAge", die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Die Soziologin sagt über ihr Vorhaben: "Die 'unkonventionelle' Aufgabenstellung, den Roboterarmen Stricken beizubringen, macht sehr plastisch, welche Formen der Mensch-Maschine-Interaktion möglich sind, aber auch, worin derzeit ihre Einschränkungen liegen." Es geht ihr auch darum, von einem Diskurs der Technikkritik wegzukommen, der entweder die Konstruktion von genuin menschlichen oder genuin maschinellen Eigenschaften ergründet.

Die Forschenden der TU Berlin bereiten den Roboterarm für den gemeinsamen "Strickunterricht" vor. (Foto: Kathrin M. Kämpf)

Frühe Programmiersprache und Feminismus

Dass sich das Experiment ausgerechnet auf althergebrachtes, textiles Handwerk besinnt, hängt auch mit dessen Nähe zu modernen Programmiervorgängen zusammen. Stricken und Weben setzen ebenfalls die Kenntnis einer Symbolschrift voraus, etwa wenn es darum geht, nach festgelegtem Muster abwechselnd eine Masche nach rechts und eine nach links zu stricken. So wurde 1837 die erste Rechenmaschine basierend auf der Technik damaliger Webstühle entwickelt.

Zugleich leitet sich aus der "Strickstunde für Roboter" ein zweiter wichtiger Strang des Forschungsvorhabens ab: die Suche nach Möglichkeiten einer "feministischen Neucodierung" von Zukunftstechnologien. These ist, dass bestehende Arten der Kooperation von Maschine und Mensch mit geläufigen Geschlechterbildern in Verbindung stehen. Findet die Arbeit mit einem Roboter beispielsweise an einer Tischkreissäge statt, wird sie auf Bildern häufig als maskulines Tätigkeitsfeld skizziert, Coworking im Bereich der Pflege wird hingegen oft feminin assoziiert. Einen anderen Denkansatz kann hier das Stricken einbringen, begriffen als Kulturtechnik. Frauen haben schon früher daraus mehr als eine typisch weibliche Heimarbeit gemacht, etwa indem sie es als Mittel politischer Teilhabe in den öffentlichen Raum überführten. So prägten zum Beispiel die Tricoteuses ("Strickerinnen") aus dem Umfeld der Sansculotten das Bild der Französischen Revolution mit. Heute sind es die sogenannten "Craftistas", die Handarbeit als eine Form des politischen Aktivismus betreiben. Somit "strickt" das Team der TU Berlin gemeinsam mit den zwei Roboterhänden auch aus Gender-Perspektive an einem wichtigen Debattenbeitrag zur menschlichen Zukunft mit Maschinen.

"Originalitätsverdacht?": Stichtag am 14. November

Die Initiative "Originalitätsverdacht?" richtet sich an die Geistes- und Kulturwissenschaften. Die VolkswagenStiftung unterstützt hier gezielt Vorhaben, die besonders originellen und bewusst unkonventionellen Ansätzen folgen. Um die Antragstellerinnen und -steller zur Forschung auf neuen wissenschaftlichen Pfaden zu ermutigen, ist das Verfahren unkompliziert und wenig zeitintensiv aufgebaut. Die anonymisierte Begutachtung garantiert, dass bei der Auswahl allein die Qualität der Forschungsidee zählt. Der nächste Stichtag zur Antragstellung ist der 14. November 2018.

Weitere Informationen

Mehr zur Initiative "Originalitätsverdacht? Neue Optionen für die Geistes- und Kulturwissenschaften"

Pressemitteilung der Technischen Universität Berlin: "Wenn Roboter stricken lernen – eine etwas andere Zukunftsvision"

Roboterarm mit Strick-Material. (Foto: Philipp Graf)