Stresshormon bei Geflüchteten erhöht: Forscher untersuchten Cortisolspiegel

Welche Auswirkungen haben die traumatischen Erlebnisse vor, während und nach einer Flucht? Marburger Forscher(innen) maßen Stresshormon-Konzentrationen bei Migranten, die Rückschlüsse auf die mögliche Entwicklung stressbedingter Erkrankungen zulassen.

Während ihrer Flucht und bei der Ankunft in ihrem Aufnahmeland sind Flüchtlinge enormem Stress ausgesetzt. Ein Forscherteam um Dr. Dr. Ricarda Mewes und Prof. Dr. Urs Nater vom Fachbereich Psychologie der Philipps-Universität Marburg, den die VolkswagenStiftung als Lichtenberg-Professor fördert, haben dies jetzt in einer Studie im Fachmagazin "Translational Psychiatry" veröffentlicht. Darin haben sie eine erhöhte Ausschüttung des Hormons Cortisol als biologischem Marker aufgezeigt, das diesen Stresspegel widerspiegelt – aber nur, wenn die Ankunft im Aufnahmeland erst kürzlich erfolgt ist. Dagegen haben Menschen, die zwar einen Migrationshintergrund besitzen, jedoch bereits dauerhaft in der Bundesrepublik leben, einen erniedrigten Cortisolspiegel. Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler(innen) Haarproben von Migrant(inn)en.

Cortisol gilt als Verbindungsglied zwischen Stress und stressbedingten Erkrankungen. Durch die Untersuchung der Cortisol-Konzentration in Haaren können die Forscher(innen) rückblickend für einen Zeitraum von mehreren Monaten untersuchen, zu welchem Zeitpunkt es in welcher Menge ausgeschüttet wurde. Für ihre vergleichende Betrachtung wählten die Forscher mehrere Gruppen aus: Zum einen verglichen sie Haarproben von Menschen, die gerade erst geflüchtet sind, mit Personen, die aus der Türkei stammen und dauerhaft in der Bundesrepublik leben – mit deutschstämmigen Probanden ohne Migrationshintergrund als Vergleichsgruppe. Zum anderen verglichen sie Proben von Asylbewerbern mit diagnostizierter Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) mit denen von Asylbewerbern, die nicht unter einer PTBS leiden.

Das Ergebnis: Die Konzentration des Stresshormons lag in der Haaren der Asylsuchenden um 42 Prozent höher als bei deutschstämmigen Vergleichspersonen – wohingegen dauerhaft niedergelassene Migranten einen Cortisolwert aufwiesen, der 23 Prozent niedriger lag als bei der Vergleichsgruppe der Deutschen ohne Migrationshintergrund. Die Forscher(innen) gehen davon aus, dass der menschliche Körper Gegenmaßnahmen einleitet, nachdem es zu einer Traumatisierung gekommen ist, was zu dem verringerten Cortisolspiegel führt. Gefährlich sind jedoch beide von der Norm abweichenden Zustände: "Sowohl eine zu hohe als auch eine zu niedrige Cortisolproduktion birgt das Risiko, dass sich eine stressbedingte Erkrankung entwickelt", erklärt Dr. Dr. Ricarda Mewes. Die zweite Untersuchungsgruppe, die Asylbewerber mit und ohne PTBS, wiesen im Vergleich miteinander keinen Unterschied in der Cortisol-Konzentration auf.

Informationen zur Publikation

Ricarda Mewes & al.: Elevated hair cortisol concentrations in recently fled asylum seekers in comparison to permanently settled immigrants and non-immigrants, Translational Psychiatry 7(2017)

Hintergrund: Lichtenberg-Professuren der VolkswagenStiftung

Mit den "Lichtenberg-Professuren" kombiniert die VolkswagenStiftung die personen- und institutionsbezogene Förderung: Indem herausragende (Nachwuchs-)Wissenschaftler(innen) eine Tenure-Track-Option an einer selbst gewählten deutschen Universität erhalten, bekommen sie die Möglichkeit, eigenständig und langfristig in innovativen und interdisziplinären Bereichen zu forschen. Der nächste Stichtag ist der 1. Juni 2017. Weitere Informationen unter "Lichtenberg-Professuren".

Anhand von Haarproben lässt sich das Stresshormon Cortisol auch rückblickend nachweisen. (Fotos: Rolf Wegst/Philipps-Universität Marburg)