Rezepte für maßgeschneiderte menschliche Stammzellen

Ein Forschungsteam unter Beteiligung von Freigeist-Fellow Prof. Dr. Volker Busskamp, Zentrum für Regenerative Therapien Dresden der TU Dresden, hat einen Weg gefunden, wie sich aus induzierten pluripotenten Stammzellen systematisch hunderte verschiedene Zelltypen gewinnen lassen - mit Hilfe von Transkriptionsfaktoren.

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) haben das Potenzial, sich in die unterschiedlichsten Zelltypen und Gewebe etwa für Wirkstofftests und Zellersatztherapien zu verwandeln. Die "Kochrezepte" für diese Umwandlung sind jedoch häufig kompliziert und schwer umsetzbar. Forscherinnen und Forscher des Zentrums für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden, der Harvard University (USA) und der Universität Bonn haben nun Rezepte entwickelt, mit denen eine Vielzahl verschiedener Stammzellen gezielt hergestellt werden kann. Diese Rezepte können über die Non-Profit-Organisation Addgene genutzt werden. Die Ergebnisse sind nun im Journal "Nature Biotechnology" veröffentlicht.

Die Forschenden verwendeten menschliche iPS, die aus Bindegewebszellen in einen quasi-embryonalen Zustand rückprogrammiert wurden. Im Prinzip lassen sich aus iPS Zellen alle möglichen ausdifferenzierten Zellen gewinnen – von der Nerven- bis zur Blutgefäßzelle, wobei jedes Rezept maßgeschneidert ist. "Die meisten Differenzierungsprotokolle sind sehr aufwendig und kompliziert. Sie können aus den iPS nicht gleichzeitig und kontrolliert in einer Kultur verschiedene ausdifferenzierte Zellen gewinnen", sagt Prof. Dr. Volker Busskamp, Freigeist-Fellow der VolkswagenStiftung, der zugleich an der Bonner Universitäts-Augenklinik, dem Exzellenzcluster ImmunoSensation2 der Universität Bonn, Exzellenzcluster Physik des Lebens (PoL) und am CRTD der TU Dresden tätig ist. 

Parallele Umwandlung von induziert pluripotenten Stammzellen (iPS) in Gefäß-, Nerven- und Bindegewebszellen: drei transgene iPS-Linien, in denen jeweils ein anderer Transkriptionsfaktor aktivierbar ist, wurden gemischt und zu einem definierten synthetischen Gewebe innerhalb von vier Tagen induziert. Gefäßzellen sind gelb, Nervenzellen magenta und Bindegewebszellen blau angefärbt. (Foto: Jesus Eduardo Rojo Arias, Volker Busskamp)

Die Ergebnisse stoßen neue Türen in der Forschung auf

"Der Vorteil der identifizierten Transkriptionsfaktoren besteht darin, dass sie besonders schnell und einfach iPS in Körperzellen umwandeln und sich daraus auch potenziell komplexere Gewebe bilden lassen", sagt Busskamp. Was Wochen oder gar Monate dauerte, findet nun binnen Tagen statt. An Stelle aufwendiger und langwieriger Protokolle genügt bei den im Massen-Screening herausgefundenen Treffern nur ein Transkriptionsfaktor. 

"Diese Ergebnisse stoßen neue Türen auf", sagt Prof. Dr. George M. Church von der Harvard University. "Die Vielfalt, Einfachheit und Schnelligkeit der Stammzellprogrammierung anhand von Transkriptionsfaktoren ermöglicht Stammzellforschung in großem Stil. Weltweit arbeiten bereits 50 andere Gruppen mit unseren programmierbaren Stammzelllinien sowie mit der Transkriptionsfaktorsammlung." Die beiden Erstautoren Alex H.M. Ng und Parastoo Khoshaklagh aus Harvard haben mittlerweile das Startup GC Therapeutics in Cambridge (USA) gegründet, das programmierbare Stammzellen mit maßgeschneiderten, integrierten Transkriptionsfaktoren zur Verfügung stellt.  

"Die Kooperation der verschiedenen Forschungseinrichtungen war sehr erfolgreich, da die unterschiedlichen Disziplinen sich sehr gut ergänzt und verzahnt haben", sagt Busskamp. Wissenschaftler können nun weltweit die Transkriptionsfaktoren nutzen, weil diese über die Non-Profit-Organisation Addgene bereitgestellt werden. Busskamp sieht gerade auch als Experte für Degenerative Netzhauterkrankungen in der Augenheilkunde ein großes Potenzial für die Stammzell-Technologie. "Für Erkrankungen, bei denen die Netzhaut zugrunde geht, wie etwa bei der Altersbedingten Makuladegeneration (AMD), besteht die Hoffnung, irgendwann einmal die betroffenen Sehzellen mit Hilfe der Umwandlung von iPS zu ersetzen", sagt Busskamp. "Mein Team arbeitet darauf hin." 

Freigeist-Fellowship

Prof. Busskamps Freigeist-Projekt "Functional Synthetic Human Neural Circuits" zielt darauf ab, funktionsfähige menschliche Nervenschaltkreise künstlich herzustellen.

Publikation

Alex H.M. Ng, Parastoo Khoshakhlagh, Jesus Eduardo Rojo Arias, Giovanni Pasquini, Kai Wang, Anka Swiersy, Seth L. Shipman, Evan Appleton, Kiavash Kiaee, Richie E. Kohman, Andyna Vernet, Matthew Dysart, Kathleen Leeper, Wren Saylor, Jeremy Huang, Amanda Graveline, Jussi Taipale, David E. Hill, Marc Vidal, Juan M. Melero-Martin, Volker Busskamp, George M. Church: A comprehensive library of human transcription factors for cell fate engineering, Nature Biotech, DOI: 10.1038/s41587-020-0742-6

Pressemitteilung

Weitere Informationen zum Thema enthält die Pressemitteilung der Universität Bonn: "Maßgeschneiderte menschliche Stammzellen"

Freigeist-Fellow Dr. Volker Busskamp. (Foto: Sven Döring für VolkswagenStiftung)