Originalitätsverdacht bestätigt! Neue Erkenntnisse aus den Geistes- und Kulturwissenschaften

Im Rahmen eines Forums stellten die ersten in der Initiative "Originalitätsverdacht?" geförderten Projekte ihre Ergebnisse vor. Die Präsentationen spiegelten die Vielfalt ungewöhnlicher Forschungsideen wider und belegten die Impulswirkung von 'small grants' für die Geistes- und Kulturwissenschaften.

Ist Forschung als Dienstleistung zu sehen oder basiert Wissenschaft auf dem Prinzip des Gabentauschs? Was bedeutet es für das Verhältnis von Natur und Kultur, wenn Plastik im Meer nicht nur Leben bedroht, sondern auch neuen Lebensraum schafft? Ist der Umfang eines literarischen Werks eine ästhetische Größe und welche Skalierungen sind möglich? Beim Forum Originalitätsverdacht am 12. und 13. Juni in Schloss Herrenhausen stellten acht Einzelwissenschaftler(innen) und sieben Forschungsteams ihre originellen Fragestellungen und Ergebnisse vor. Sie hatten sich mit ihren Projektideen bei der ersten Runde der Förderinitiative der Stiftung durchgesetzt und eine Bewilligung erhalten – unter insgesamt 387 Anträgen. 

Forum Originalitätsverdacht: gespannte Aufmerksamkeit für spannende Themen. (Foto: Philip Bartz für VolkswagenStiftung)

Über zwölf bzw. 18 Monate wurden die Forscher(innen) gefördert, um eine erste Exploration ihrer Idee vornehmen zu können. Den Erkenntnisgewinn aus ihren Vorhaben brachten sie nicht nur in das Forum ein, sondern sie werden sie –  wie in der Ausschreibung gefordert – in Essays publizieren. Zwei der Projekte stellen wir im Folgenden kurz vor. Einen Überblick über alle in der ersten Ausschreibung bewilligten Projekte gibt die Pressemitteilung vom Januar 2016.

Plastik als neue Lebensform

Dr. Sven Bergmann, Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft der Universität Bremen, hat sich dem "Plastik als neuer Lebensform" gewidmet: Während der sichtbare Plastikmüll in den Weltmeeren und die damit verbundenen Probleme und Lösungsansätze viel Aufmerksamkeit finden, werden andere Phänomene wie etwa allgegenwärtige kleinste Plastikpartikel noch kaum beachtet. Dabei kann man sie überall nachweisen: im Wasser, auf dem Meeresboden und an den entlegensten Stränden. Ihre Diffusion hat eine fast unheimlich wirkende Dimension ("Plastik-Smog"). Dieses Mikroplastik ist aber vielfach von Mikroben besiedelt, die Biofilme bilden. So stellt das verbreitet als lebensfeindlich eingeschätzte Material ein neues Habitat für mikrobielles Leben dar. Die Rolle von Plastik im Ozean geht über einen hybriden Mittler zwischen Naturen/Kulturen hinaus; Plastik wird zu einer Plattform für die Herstellung und Rekombination von Natur. Was bedeutet dieses neue Phänomen für unseren Blick auf das Verhältnis von Natur und Kultur, welche sozialwissenschaftlichen Fragen werden aufgeworfen? Können Bilder für diese Verschränkung gefunden werden, die sie passend beschreiben? Fragen wie diesen will Sven Bergmann auch nach der ersten Exploration weiterhin nachgehen.

Magie in Verwaltung und Politik

Wie sehr politisch-administrative Prozesse im 16. und frühen 17. Jahrhundert von Magie und Wahrsagerei beeinflusst waren, erforscht Historikerin PD Dr. Ulrike Ludwig (derzeit Universität Erlangen-Nürnberg). Trotz einer nicht optimalen Quellenlage ist – unter anderem – für Kurfürst August von Sachsen eine rege Nutzung von wahrsagerischen Selbsthilfetechniken belegt. Das bedeutet, dass sich der Herrscher bei zahlreichen Entscheidungen zum Beispiel an Losbüchern und Planetentäfelchen orientierte, etwa bei der Besetzung von Stellen in seinem Umfeld oder zur Festlegung von geeigneten Terminen für unterschiedliche Akte des Verwaltungshandelns. Ulrike Ludwig sieht darin keinen Beleg für eine fatalistische Einstellung, sondern den Wunsch nach einer aktiven Optimierung des eigenen Handelns. Für sie öffnet die Frage nach der Bedeutung magischer und hellseherischer Praktiken als Hilfsstrategien in der Verwaltung grundsätzlich neue Perspektiven auf den frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozess und das Funktionieren von Verwaltung als Organisation. Zudem werde es möglich, eine neue Debatte über ein weiter gestecktes Verständnis von Magie und Hellseherei im Kontext frühneuzeitlicher Gesellschaften anzustoßen.

Hintergrund zur Förderinitiative

Die Förderinitiative "Originalitätsverdacht?" zielt auf die Exploration von Forschungsideen mit erkenntnisgewinnender Originalität aus den Geistes- und Kulturwissenschaften. Der nächste Stichtag zur Antragstellung in der Initiative ist 15. November 2017. Weitere Informationen unter: 'Originalitätsverdacht?' Neue Optionen für die Geistes- und Kulturwissenschaften.

Literaturhistoriker Johannes Ullmaier, Universität Mainz, stellte beim Forum seine Überlegungen zu Simultaneität als Kategorie des Modernismus vor. (Foto: Philip Bartz für VolkswagenStiftung)