Heilen mit Stammzellen? Ein Interview

Freigeist-Fellow Dr. Volker Busskamp will funktionsfähige menschliche Nervenschaltkreise künstlich herstellen, die u. a. für biomedizinische Anwendungen, z. B. bei Parkinson, helfen könnten.

Den Weg, den er geht, ist bisher wohl niemand gegangen: In einem neuen Ansatz kombiniert

Freigeist-Fellow Dr. Volker Busskamp Bioingenieur- und Neurowissenschaften sowie Stammzellforschung. Sein Ziel ist es, funktionsfähige menschliche Nervenschaltkreise künstlich herzustellen: zum einen, um mehr über bestimmte Eigenschaften unseres Nervengewebes zu erfahren; zum anderen in der Hoffnung, dass die Erkenntnisse therapeutisches Potenzial etwa für neurogenerative Erkrankungen haben. Sein neu gewählter Arbeitsort: das Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der Technischen Universität Dresden.

Herr Busskamp: Sie wollen eine neue Technik entwickeln, um eines der komplexesten biologischen Systeme besser erforschen zu können – das Gehirn. Können Sie kurz detaillieren, was Sie konkret vorhaben und inwiefern Stammzellen dabei eine Rolle spielen?

Freigeist-Fellow Dr. Volker Busskamp entwickelt eine Technik, mit der sich Stammzellen schnell und passgenau zu Nervenzellen ausdifferenzieren lassen. (Foto: Sven Döring für VolkswagenStiftung)

In der Tat ist das menschliche Gehirn äußerst komplex. Man schätzt, dass es 100 Milliarden Nervenzellen gibt, und eine einzelne Nervenzelle kann bis zu 30.000 Verknüpfungen mit anderen Zellen eingehen. Nun ist Nervenzelle nicht gleich Nervenzelle; es gibt nach derzeitigem Wissensstand schätzungsweise rund 320 verschiedene Zellklassen mit einer unbekannten Zahl an Subtypen. Um dieser Komplexität entgegenzutreten, konzentrieren sich viele Forscher in ihrer Arbeit traditionell auf spezielle Hirnareale. Mein Ansatz zielt nun nicht auf eine Fragmentierung des menschlichen Gehirns, sondern ich möchte einzelne Nervenschaltkreise kreieren – also letztlich ebenfalls Teile des Gehirns, aber ich sehe mehr den übergreifenden Vernetzungsaspekt als die Anatomie. Entscheidend ist, dass es mir zu Beginn gelingt, aus bestimmten Stammzellen Nervenzellen zu züchten, die dann später gezielt verknüpft werden können. Ich verwende adulte menschliche, genauer: induzierte pluripotente Stammzellen. Das sind Zellen, die schon einmal ausdifferenziert waren, sich nach ihrer "Rückversetzung" in ein früheres Stadium aber wieder in sämtliche Körpergewebe umwandeln können – wir nennen sie kurz iPS-Zellen...

...deren Verwendung weniger ethische Probleme und gesetzliche Vorschriften mit sich bringt als die Arbeit insbesondere mit embryonalen Stammzellen...

Genau. Und sie bergen unzählige Möglichkeiten für die medizinische Forschung. Sie sind wandlungsfähige Alleskönner, die sich prinzipiell zu jeder beliebigen spezialisierten Zelle weiterentwickeln können beziehungsweise züchten lassen: zum Beispiel zu Haut-, Herzmuskel- oder Leberzellen, weißen Blutkörperchen – oder eben Nervenzellen. iPS-Zellen kommt vermutlich auch (hohes) therapeutisches Potential zu. Sie gelten aus medizinischer Sicht als Ausgangspunkt, um erkrankte oder abgestorbene Zellen des Körpers zu ersetzen. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als sich im Prinzip für jeden Menschen individuell zugeschnittene, also passende iPS-Zellen erzeugen lassen, die im Falle einer Transplantation vom Körper nicht abgestoßen werden. Sie sind zudem einfach zu handhaben und zu modifizieren. Eine unserer Zwischenetappen ist es, unmittelbar in Stammzellen genetische Faktoren so kontrollieren zu können, dass eben jene Stammzellen sich verlässlich in verschiedene Typen von Nervenzellen programmieren lassen.

Dr. Volker Busskamp forscht am Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (DRTD) der Technischen Universität Dresden. (Foto: Sven Döring für VolkswagenStiftung)

Da sind Ihnen weltweit aber einige Kollegen doch voraus ...?

Das wirklich Besondere folgt dann: Sobald ich eine Palette unterschiedlicher Nervenzellen stabil vorliegen habe, wird die entscheidende Herausforderung sein, einzelne davon gezielt zu verbinden. Dazu werden wir auf Objektträgern bioaktive Polymere in Form von Schaltkreisen aufbringen und anschließend die Zellen hinzugeben. Die Nervenfortsätze können nur an den Polymeren haften und entlangwachsen. Auf diese Weise sollte es uns gelingen, verschiedene Zellen gezielt zusammenzuführen. Im Optimalfall schaffen wir an definierten Knotenpunkten zelluläre Verbindungen – dies wäre der entscheidende Schritt zu funktionalen Nervenschaltkreisen aus menschlichen Zellen.

Zusammengefasst: Bei Ihrem Freigeist-Forschungsprojekt geht es darum, synthetische Nervenschaltkreise zu kreieren. So wie Sie das erläutern, hört sich das ebenso logisch nachvollziehbar wie zugleich schwierig in der Umsetzung an. Beherrschen Sie denn bereits das nötige Handwerk dafür – und welches womöglich therapeutische Ziel wollen Sie genau erreichen?

Um mit dem Ende ihrer Frage zu beginnen: Letztlich geht es darum, auf der Basis meines Ansatzes herauszufinden, wie das menschliche Gehirn Informationen verarbeitet. Spannend wird es auch, wenn es uns – deshalb verwenden wir Zellen vom Menschen – gelingt, krankheitsrelevante Mutationen einzufügen, um biomedizinische Anwendungen für bestimmte neurodegenerative Erkrankungen zu erforschen. Denken Sie allein einmal an das mögliche therapeutische Potenzial bei Parkinson, hier weiß man ja inzwischen, dass zumindest bei einem nicht unerheblichen Anteil der Betroffenen ein oder mehrere Gendefekte der Krankheit zugrunde liegen können. Was die Technik und die Handhabbarkeit angeht: Grundzüge der von meiner Arbeitsgruppe jetzt eingesetzten Technik, Stammzellen besonders schnell in Nervenzellen umzuwandeln, habe ich in den USA mit entwickelt. Beim Menschen können wir die Informationsverarbeitung im Gehirn bisher kaum unmittelbar überprüfen – aus ethischen Gründen, aber auch, da immer gleich unzählige Nervenzellen beteiligt sind und komplex zusammenwirken. Mein Verfahren ermöglicht es nun, zwei oder künftig einmal auch mehrere Neuronen gezielt und reproduzierbar zusammenzuschalten, und damit in der Petrischale zu überprüfen, wie menschliche Nervenzellen Informationen verarbeiten: wie letztlich also unser Gehirn in dieser Hinsicht funktioniert.

Die Weitergabe seines Wissens ist ihm wichtig. Regelmäßig lädt Volker Busskamp Nachwuchswissenschaftler zu Seminaren ein. (Foto: Sven Döring für VolkswagenStiftung)

Alles in allem ist es also ihr Ziel, Zusammenhänge zu erkennen, die bestehen bei Prozessen wie etwa der Zellentwicklung, der Zellmorphologie, der Kommunikation zwischen Zellen mittels Botenstoffen und anderen Molekülen – bis hin zu der Frage, was sich daraus für die eine oder andere Erkrankung ableiten lässt...

Ja. Denken sie allein einmal daran, dass sich bislang – etwa bei vielen Hirnerkrankungen – zahllose wechselseitige Abhängigkeiten auf biomolekularer oder anderen Ebenen mangels geeigneter Techniken und Methoden und wegen der enormen Menge beteiligter Nervenzellen bei Weitem noch nicht lückenlos erforschen oder sicher beschreiben lassen. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Bei einer neurodegenerativen Erkrankung wie Alzheimer oder auch der Netzhautdegenerationen sterben bestimmte Zellen ab. Doch es nützt nichts, nur diese Zellen zu betrachten, denn man weiß mittlerweile, dass sich eine einzelne Nervenzelle nicht als einzelne Einheit begreifen lässt. Jede Zelle bekommt Inputsignale, verarbeitet diese und sendet sie weiter zu unter Umständen gleich mehreren postsynaptisch gelegenen Zellen. Daher wäre es erstrebenswert, überschaubare multizelluläre menschliche Nervenschaltkreise als Modell zu haben. Zum einen, um von der Betrachtungsebene der einzelnen Nervenzelle wegzukommen; zum anderen, um neuen Therapieansätzen losgelöst von Tiermodellen nachgehen zu können. Eben in diese Lücke stößt mein Ansatz.

Nun wollen Sie sich nicht, wie Sie ja eingangs gesagt haben, allein auf ein bestimmtes Hirnareal beschränken. Aber wäre das nicht vielleicht doch der einfachere Weg – gerade im Hinblick darauf, dann schneller ein wissenschaftlich belastbares Modell an der Hand zu haben?

Eine solche Fokussierung erscheint in der Tat zunächst einmal plausibel, jedoch können wir zurzeit nur eine sehr geringe Anzahl von Nervenzellen herstellen. Bisher haben wir zu wenige Zelltypen, die ein Hirnareal sinnvoll repräsentieren könnten. Daher ist der erste Schritt, so viele Bauteile wie möglich zu erzeugen – das heißt, möglichst viele verschiedene Nervenzellen für unsere Verknüpfungsversuche zu bekommen.

Sie sind von Haus aus Biotechnologe; das was Sie tun, könnte man als neurobiologisch inspirierte Bioingenieurwissenschaften bezeichnen... – ein neues Forschungsfeld?

Man könnte meine Arbeit in der Tat so deklarieren. In jedem Fall eröffnet diese Zusammenführung etablierter Disziplinen neue Forschungsansätze, aber ob sich da am Ende ein neues Forschungsfeld auftut, wird die Zukunft zeigen. Den Weg, den ich gehe, ist aber noch kaum jemand gegangen: Bioingenieurwissenschaften, Stammzellforschung und Neurowissenschaften zu kombinieren, um mit künstlich hergestellten, funktionsfähigen menschlichen Nervenschaltkreisen eine neue Methode zu etablieren, die in der Konsequenz therapeutisches Potenzial haben soll. Für die fernere Zukunft denken Sie sogar an "biologische Computer".

Ein Transilluminators hilft dabei, DNA zu extrahieren. (Foto: Sven Döring für VolkswagenStiftung)

Was meinen Sie damit?

Zunächst einmal ist mir wirklich daran gelegen, dass die neue Methode funktioniert und dazu beiträgt, neuronale Krankheiten wie Alzheimer oder Netzhautdegeneration besser zu erforschen und zu verstehen. Davon ab: Wir gehen ja generell davon aus, dass Nervengewebe eine Art biologischen Computer darstellt. Jedoch ist es in den vergangenen hundert Jahren trotz intensiver Forschung nicht gelungen, den neuronalen Code zu knacken, also jene Sprache in Form von Aktionspotenzialen zu entschlüsseln, mit der Nervenzellen kommunizieren. Die definierten und isolierten synthetischen Schaltkreise unter konstanten Bedingungen, die ich schaffen will, könnten merklich dazu beitragen, eben dieses Rätsel zu lösen. Im Umkehrschluss kann man die synthetischen Schaltkreise auch als biologische Computer verstehen, die bestimmte Informationen verarbeiten können. Die ersten technischen Computer konnten am Anfang auch nur eins plus eins rechnen. Mal sehen, was wir in Zukunft durch Nervenzellen berechnen lassen können...

Sie haben für diese Projekte, für das Freigeist-Fellowship die Harvard Medical School in Boston, USA, hinter sich gelassen, und nun ist Dresden ihr neuer Wirkungsort.

Manch einen hat meine Rückkehr nach Deutschland zunächst überrascht – insbesondere im Hinblick darauf, was ich vorhabe. In Deutschland herrscht meines Erachtens zumeist ein hohes Sicherheitsdenken bezüglich der Förderung von Projekten, und so wird interdisziplinäre und vor allem risikoreiche Forschung nur selten unterstützt – zumal wenn auch noch einiges an Fördermitteln benötigt wird. Viele Forschungsförderer betonen zwar, sie suchten "riskante" Projekte. Doch was gefördert wird, ist oft totaler Mainstream und arg konventionell angelegt. Die VolkswagenStiftung ist da eine große Ausnahme und explizit dafür über die Maßen bekannt; sie hält immer wieder entsprechende interessante Angebote für die Wissenschaft bereit. Auch mit den Freigeist-Fellowships hat sie ja letztlich eine Lücke geschlossen. Für mich ist das die notwendige finanzielle Unterstützung, eine kleine Forschungsgruppe aufbauen zu können. Und vor allem habe ich einen längeren Zeitraum vor mir, in dem ich ruhig und gesichert arbeiten und damit die neue Technik entwickeln kann. Die Stiftung unterstützt mich dabei mit rund einer Million Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren: Das gibt einem schon eine recht lange Planungssicherheit. Und das eben noch an der Forschungsstätte meiner Wahl. In Dresden habe ich für meine Fragestellung ein einzigartiges Umfeld gefunden. Viele Kollegen des Biocampus arbeiten an exakt jener Schnittstelle von Stammzellforschung, Neurobiologie und Bioingenieurwissenschaften, an der auch ich meine Arbeit platziere. Daraus werden sich zweifelsohne zahleiche neue Impulse und Kooperationen ergeben – erste Gespräche gab es schon kurz nach meinem Start im September 2014. Nicht weniger entscheidend war und ist für mich auch, dass ich meine Ideen am CRTD in großer Eigenständigkeit vorantreiben kann – bei sowohl guten und engen Kontakten zu den Arbeitsgruppen hier im Haus als auch zu den großen Flaggschiffprojekten im Bereich der Gehirnforschung in Europa und darüber hinaus. Das Interview führte Christian Jung.

Die Familie ist schnell heimisch geworden in Dresden und hat seitens des Instituts viel Unterstützung erfahren. (Foto: Sven Döring für VolkswagenStiftung)

Hintergrund Freigeist-Fellowships

Die fachoffenen Freigeist-Fellowships richten sich an außergewöhnliche Forscherpersönlichkeiten nach der Promotion, die sich zwischen etablierten Forschungsfeldern bewegen und risikobehaftete Wissenschaft betreiben möchten: Ein Freigeist-Fellow ist für die VolkswagenStiftung eine junge Forscherpersönlichkeit, die neue Wege geht, Freiräume zu nutzen und Widerstände zu überwinden weiß. Sie schwimmt – wenn nötig – gegen den Strom und hat Spaß am kreativen Umgang mit Unerwartetem, auch mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten. Ein Freigeist-Fellow erschließt neue Horizonte und verbindet kritisches Analysevermögen mit außergewöhnlichen Perspektiven und Lösungsansätzen. Durch vorausschauendes Agieren wird der Freigeist-Fellow zum Katalysator für die Überwindung fachlicher, institutioneller und nationaler Grenzen.

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