Der Sinn des Riechens

Der Geruchssinn des Menschen hat sehr viel mehr Facetten als man glaubt. Beim Herrenhäuser Forum faszinierten Wissenschaftler ihr Publikum mit erstaunlichen Mitteilungen aus dem Kosmos des Riechens.

Gemeinhin wird bestimmten Tieren ein besonders guter Geruchssinn nachgesagt. Was wäre etwa der Zoll ohne Drogenspürhunde? Und auch die Flughafenpolizei in Neuseeland wäre in ihrem Kampf gegen die Einschleppung von Seuchen wohl ziemlich verloren ohne Vierbeiner, die unerwünschte Früchte und Fleischwaren erschnüffeln. Doch wer hätte gedacht, dass diese Aufgaben auch von Menschen übernommen werden könnten? Bei dem Herrenhäuser Forum "Immer der Nase nach – Über die Geheimnisse des vergessenen Sinns" wurden dem Publikum Erkenntnisse wie diese näher erläutert. Beispielweise führte Prof. Dr. Thomas Hummel, Leiter des Arbeitsbereiches Riechen und Schmecken der Technischen Universität Dresden, eine Studie an, in der Testpersonen gefordert waren, einer Schokoladenöl-Duftspur im Gras zu folgen. Damit wollten Forscher die sogenannte Riechschwelle des Menschen bestimmen – also testen, ob sie dazu in der Lage sind, auch wenige Duftmoleküle wahrzunehmen. Das überraschende Ergebnis: Die Testpersonen bewältigten die Aufgabe ebenso erfolgreich wie ein Hund, der den Geruch eines Fasans im Gras verfolgen sollte. "Menschen können hinsichtlich ihres Geruchssinns durchaus mit Tieren mithalten", konstatierte Hummel. Die Riechschwelle liegt somit nicht für alle Geruchsstoffe bei Menschen niedriger als bei Tieren - wie es landläufig angenommen wird. Im Vergleich zu manchen Tieren riecht der Mensch sogar deutlich besser, im Vergleich zu anderen deutlich schlechter. Allerdings bestehen auch bei Menschen Unterschiede: Frauen etwa können besser riechen als Männer und junge Menschen besser als ältere. "Jeder dritte Mensch über 80 Jahren kann gar nicht mehr riechen", berichtete Hummel.

Warum der Mensch riechen kann
Das Herrenhäuser Forum gab Einblicke in die Funktion des menschlichen Geruchssinns. (Foto: Agata Szymanska-Medina für VolkswagenStiftung)

Weshalb die gründliche Erforschung des Geruchssinns so wichtig ist, erläuterte Hummel ebenfalls. Als die drei entscheidenden Funktionen des Riechens führte er zum einen die nonverbale Kommunikation an, die mithilfe von Gerüchen stattfindet. Ein Beispiel: Tränen transportieren einen ganz bestimmten Duft, der Mitmenschen beeinflusst. Wenn eine Frau weint, wird dieser Duftstoff aus ihren Tränendrüsen an die Luft transportiert und kann von ihrem Partner wahrgenommen werden. Bei ihm bewirkt seine Rezeption die Senkung der Libido, er verspürt also in diesem Moment ein geringeres Verlangen nach seiner Partnerin. Als eine zweite Funktion benannte Hummel den Schutz der Lunge durch die Funktion der Nase. Denn wenn diese einen toxischen Stoff wahrnimmt, konstruiert das Gehirn aus der Rezeption eine Warnung, und der Mensch reagiert entsprechend, um seine Lunge vor Schäden zu schützen. Die dritte besonders wichtige Funktion des Riechens ist laut Hummel die Möglichkeit des Genusses, den Riechen schafft. Denn ohne die Riechzellen in der Nase würde der Mensch nur süß, sauer, salzig, bitter und umami (die Bezeichnung für den fünften Geschmacksinn, die aus dem japanischen am besten mit "vollmundig", "intensiv" und "herzhaft" übersetzt werden kann) differenzieren können. Erst der Geruchssinn vervollständigt die Wahrnehmung und lässt den Menschen verschiedene Geschmäcker unterscheiden und genießen. "Menschliche Nasen können sehr empfindlich werden, wenn es für sie bedeutsam wird", fasste Hummel seine Analyse zusammen.

Was bewirkt der Geruchssinn im Körper?
Das Publikum bekam Duftproben gereicht, um die Thematik zu veranschaulichen. (Foto: Agata Szymanska-Medina für VolkswagenStiftung)
Prof. Dr. Trese Leinders-Zufall

, Professorin für Molekulare Sinnesphysiologie an der Universität des Saarlandes, analysierte in ihrem anschließenden Vortrag die Mechanismen im Körper, die das Riechen hervorruft. Sie erklärte anhand von Beispielen, wie der Riechsinn beispielsweise Reproduktion, Aggression und das Immunsystem beeinflusst. Doch welche chemischen Strukturen, die Basis von jedem Duftmolekül, detektiert der Mensch genau - und wie? Frau Leinders-Zufall erläuterte, dass nicht die Riechschwelle den Menschen von den Tieren unterscheidet, sondern die Art, wie er Gerüche wahrnimmt. Über diese Vorgänge sei allerdings noch sehr wenig bekannt. Diese Tatsache bestätigte Dr. Michael Schmuker, Neurowissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Die Reize der anderen Sinne, wie die Schallwellen für den Hörsinn und Lichtwellen für den Sehsinn seien heute viel besser verstanden, erklärte er: "Gerade deshalb ist dieses Forschungsfeld für mich so spannend!" In der Wissenschaft gibt es bislang keine Möglichkeit der Vorhersage darüber, welchen Duft eine spezifische Molekülstruktur ergeben könnte – anders als beispielsweise die chemische Struktur von pharmakologischen Stoffen, die erfahrenen Pharmakologen eine Vorhersage über ihre Wirksamkeit ermöglicht. Auch Marc vom Ende, Parfümeur bei Symrise, pflichtete Schmuker bei. Seiner Ansicht nach hilft in erster Linie die jahrelange Erfahrung im Umgang mit verschiedenen Düften, einen neuen aus einzelnen Komponenten zu kreieren. Doch auch er kann nicht mit Sicherheit vorhersagen, wie sich ein Duft entwickelt, wenn er einzelne Essenzen im Labor kombiniert. Und wie der Mensch ihn wahrnimmt und bewertet, ist individuell verschieden. Hinzu kommt eine mögliche kulturelle Prägung oder Konditionierung, die die Wahrnehmung zusätzlich beeinflussen kann.

Physiologie des Riechorgans noch nicht komplett erforscht

Neben der Wahrnehmung im Gehirn bergen Komplexität und Anordnung der ca. 350 verschiedenen Geruchsrezeptoren in der menschlichen Nase noch viel Potenzial für weitere Forschung. Denn sie sind jeweils nicht nur für die Rezeption eines, sondern gleich mehrerer verschiedener Duftmoleküle zuständig. Diese präzise und hochparallele Arbeitsweise der Riechzellen inspirierte Wissenschaftler bereits dazu, Strukturen von Computerchips äquivalent zu denen in der Nase zu konstruieren, um eine möglichst hohe Effektivität der Technologie zu erzielen. Weitere Optionen, die die Diskutanten anführten, wie die Behandlung von Krankheiten durch Verabreichen bestimmter Gerüche oder das Training von Hunden auf die Wahrnehmung bestimmter Krankheiten im menschlichen Körper, sind heute größtenteils noch Zukunftsmusik. Die wissenschaftliche Forschung hat hier noch viele Geheimnisse zu lüften. Tina Walsweer

Wer findet heraus, um welchen Duft es sich handelt? (Foto: Agata Szymanska-Medina für VolkswagenStiftung)