Den Kabelbakterien auf der Spur
Pia B. Jensen, Aarhus (cc)
Das Kabelbakterium Candidatus Electronema, hier 10.000fach vergrößert, war 2024 "Mikrobe des Jahres"
Sogenannte Kabelbakterien wurden erstmals 2010 entdeckt. In einem besonderen Forschungsprojekt gehen Wissenschafter:innen aus Mülheim und Antwerpen ihren Geheimnissen auf den Grund. Die Förderung durch "Next – Quantum Biology" unterstreicht, wie wichtig Grundlagenforschung für zukunftsweisende Innovationen ist.
Kabelbakterien leben auf dem Meeresgrund und verfügen über eine elektrische Leitfähigkeit, die unter Lebewesen einmalig ist. Die außergewöhnlichen Organismen, die in speziellen Fasern Elektronen über Zentimeter-Distanzen transportieren können, haben die Aufmerksamkeit eines Teams aus Max-Planck-Forschenden aus Mülheim und der Universität Antwerpen in Belgien auf sich gezogen. Das Projekt wird mit knapp zwei Millionen Euro im Rahmen unserer Förderinitiative NEXT Quantum Biology gefördert. So ermöglichen wir Pionierarbeit an der Schnittstelle von Biologie und Quantenphysik.
Revolutionäre Proteindrähte aus der Natur
Im Zentrum des Projekts "Biological quantum conduction across centimeter distances" steht eine interessante Entdeckung: Bestimmte Bakterien im Meeresboden besitzen Proteinfäden, die Elektronen über Zentimeter-Distanzen leiten, und zwar 100 Millionen Mal effizienter als bekannte biologische Leiter wie Mitochondrien-Proteine. Diese "Nanodrähte" stellen nicht nur moderne synthetische Materialien in den Schatten, sondern widersprechen auch gängigen Theorien zum Ladungstransport in Lebewesen. Sollten sich hier Quanteneffekte verbergen, könnte dies das Verständnis biologischer Prozesse revolutionieren.
Für uns ist das Projekt besonders spannend, weil es etwas völlig anderes ist, als was wir sonst tun
Quantenrätsel mit interdisziplinärem Team gelöst
Warum leiten diese Proteine so außergewöhnlich gut? Das internationale Team um Prof. Dr. Serena DeBeer, Direktorin der Abteilung Anorganische Spektroskopie am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion, Prof. Filip Meysman von der Universität Antwerpen und Prof. Frank Neese, Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung geht einer interessanten Hypothese nach: Quantenphänomene im Nanobereich könnten den makroskopischen Stromfluss ermöglichen. Eine besondere Rolle sollen dabei ganz spezielle Nickelverbindungen spielen, welche für die Leitfähigkeit verantwortlich sein könnten. Mithilfe von Spektroskopie, theoretischer Modellierung und Biophysik wollen die Forschenden in den kommenden Jahren den Mechanismus entschlüsseln. Dieser interdisziplinäre Ansatz ist Kern des NEXT-Programms, das gezielt unkonventionelle Kooperationen fördert.
Wegbereiter für nachhaltige Technologien
Eine Bestätigung der Quantenhypothese hätte weitreichende Folgen: Sie würde beweisen, dass die Natur Quanteneffekte für hocheffiziente Energieübertragung nutzt – ein Paradigmenwechsel für die Biologie. Noch konkreter aber sind die Anwendungen: Die Proteindrähte könnten als Blaupause für grüne Elektronik-Materialien dienen: ressourcenschonend, biologisch abbaubar und leistungsstark. Damit rückt die Vision einer "Protein-Elektronik" für nachhaltige Sensoren oder Energiesysteme in greifbare Nähe.
"Für uns ist das Projekt besonders spannend, weil es etwas völlig anderes ist, als was wir sonst tun", erklärt Prof. Frank Neese vom MPI für Kohlenforschung. Da der Wissenschaftler vor seinem Studium der Chemie jedoch in Biologie geforscht hat, sei es für ihn auch eine Art Heimspiel.
Dieser Artikel wurde zuerst auf der Website des MPI für Kohleforschung veröffentlicht.