Aug in Aug mit der Unterwasserwelt - Opus Primum 2018 verliehen

Für "Das Aquarium" wurde Dr. Mareike Vennen in einer festlichen Gala der Opus Primum Förderpreis für die beste wissenschaftliche Nachwuchspublikation 2018 verliehen. Der Abend in Schloss Herrenhausen bot neben interessanten Einblicken in die Wissensgeschichte rund um Aquarien auch anregende Diskussionen über das leise Sterben von Demokratien – anlässlich der gleichzeitigen Verleihung des NDR Kultur Sachbuchpreises.

Von "aufflammender Meereslust" und "Aquarienfieber", das sich von England aus in die ganze Welt ausbreitete, war die Rede in der Laudatio auf das wissenschaftliche Erstlingswerk der Kulturwissenschaftlerin Dr. Mareike Vennen. Die Laudatorin Prof. Dr. Christina Wessely, selbst als Kulturwissenschaftlerin an der Leuphana Universität Lüneburg tätig, stellte zum Anfang ihrer Rede auf das nun prämierte Buch "Das Aquarium. Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion (1840-1910)" die Frage, die sich sicher manch einer gestellt hat: "Was soll am Aquarium schon Besonderes sein?" Ihre Antwort: Das Aquarium, so werde dem gebannten Leser bei der Lektüre schnell klar, habe phantastische Träumereien über geheimnisvolle Wunderwelten unter Wasser ebenso angeleitet wie die Produktion naturkundlichen und biologischen Wissens. Wessely unterstrich die leichte und unterhaltsame Art, mit der die Autorin Form und Inhalt in Beziehung setzt, die den Leser und Leserin vergessen lassen würde, wie viel Archivarbeit und Quellenrecherche hinter einem Sachbuch wie diesem stecke.

Dr. Mareike Vennen, die Opus Primum Preisträgerin 2018, zwischen der Laudatorin Prof. Dr. Christina Wessely und Dr. Wilhelm Krull. (Foto: Stefan Koch für VolkswagenStiftung)

Die bislang unsichtbare Unterwasserwelt war plötzlich ganz nah

Dass die Quellenrecherche nicht immer einfach war, stellte Vennen nach der feierlichen Übergabe der Urkunde des Opus Primum Preises, der mit 10.000 Euro dotiert ist, deutlich heraus. Viele Informationen seien über die Jahre verloren gegangen oder wurden gar nicht erst aufgezeichnet – so vor allem die Daten und Fakten über viele begeisterte Aquarianerinnen, die es gegeben habe, was aber kaum bekannt sei. Der Grund dafür sei, dass die Aquarianerinnen selbst nicht viel publiziert haben. Die meisten publizierten Quellen, die Vennen für ihre Recherche zur Verfügung standen, kamen von britischen Societies, die zum Großteil nur aus Männern bestanden. Die ganze Unterwasserwelt erstmals überhaupt beobachten zu können, begeisterte aber Frauen und Männer gleichermaßen, war sie doch bislang unsichtbar.

"Bis zur Erfindung der Aquarien kannte man Unterwasserlebewesen entweder nur in Alkohol eingelegt oder ausgestopft. Und da meistens gänzlich ausgeblichen oder zerfallen", berichtet Vennen. Die Möglichkeit, mit der Meeresfauna erstmals Aug in Aug zu sein, war revolutionär. "Man konnte den Tieren, so wurde berichtet, ins Maul schauen, mit Pantoffeln und im Schlafrock im eigenen Heim – das war das Sensationelle", sagte die Wissenschaftlerin. Die Frontalansicht, die durch Aquarien erstmals möglich war, schuf nicht nur Nähe, sondern erzeugte auch Einblicke in die gesamte Unterwasserwelt, erklärte Vennen. Es gab nicht mehr nur das klassische Goldfischglas mit einzelnen Tieren und ohne Pflanzen, der Blick wurde vielmehr eröffnet in eine ganze Landschaft. Und trotz vieler Rückschläge – von zerborstenem Glas bis hin zu exotischen Fischen, die den Transport ins ferne Großbritannien nicht überlebt haben – ist die Geschichte der Aquarien, wie Mareike Vennen sie in ihrem Werk aufzeigt, eine Erfolgsgeschichte von einem Gegenstand, welcher die Grenzen von akademischer Forschung, Unterhaltung und Kunst durchkreuzt.

Laudatorin Prof. Dr. Christina Wessely nannte "Das Aquarium" ein wundervolles Buch, klug und unterhaltsam, mit historischer Sorgfalt und kulturwissenschaftlichem Witz. (Foto: Stefan Koch für VolkswagenStiftung)

Sachbuchpreisträger von NDR Kultur warnt vor Zerfall von Demokratien

An dem festlichen Abend wurde nicht nur Mareike Vennen von der VolkswagenStiftung ausgezeichnet, auch NDR Kultur hat seinen Sachbuchpreis verliehen. Er ging in diesem Jahr an Steven Levitsky und Daniel Ziblatt für ihr Buch "Wie Demokratien sterben". Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung und Laudator auf die diesjährigen Preisträger, sagte: "Wir alle sind als Staatsbürger dazu aufgefordert, uns für den Erhalt der Demokratie zu engagieren." Der US-Amerikaner Ziblatt, der als junger Mann 1990 erstmals in Deutschland zu Besuch war, berichtete in seinen Dankesworten davon, dass ihn erst die deutsche Geschichte zum Schreiben des Buches inspiriert habe. "Ich lernte hier in Deutschland, dass die Demokratie ein wertvolles Gut ist, das man schützen und verteidigen muss", mahnte er, "und ich lernte auch, wie zerbrechlich Demokratie ist". Die aktuellen politischen Entwicklungen in seiner Heimat trieben ihn ebenfalls an: "Wir haben das Buch geschrieben, um den Menschen in den USA zu vermitteln, dass Demokratie keine Maschine ist, die von selber läuft." Er verglich die Normen und Regeln der Demokratie mit Sauerstoff oder sauberem Wasser, die man erst zu schätzen wisse, wenn sie knapp würden.

Daniel Ziblatt erhielt für das Werk "Wie Demokratien sterben", das er gemeinsam mit Steven Levitsky verfasst hat, den NDR Kultur Sachbuchpreis 2018. (Stefan Koch für VolkswagenStiftung)

Auch Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble, Ehrengast des Abends, der das zehnjährige Jubiläum der Verleihung des NDR Kultur Sachbuchpreises markierte, fand in seiner Festansprache deutliche Worte. Er mahnte an, dass aus "alternativen Fakten" und gefühlten Wahrheiten Gefahren für die offene, demokratische Gesellschaft entstünden. Schäuble zitierte den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, der "völlig zurecht gesagt hat, dass die größte Gefahr für die Demokratie ist, dass wir sie für selbstverständlich erachten".

Dr. Wolfgang Schäuble war Ehrengast des Abends. (Foto: Stefan Koch für VolkswagenStiftung)

Mit einem Zitat von Ephraim Kishon, der sagte, dass die Demokratie bekanntlich das beste politische System sei, weil man es ungestraft beschimpfen könne, und einer klaren Kaufempfehlung für das Buch der Opus-Primum-Preisträgerin beschloss Dr. Ulrich Kühn als Moderator den Abend.

Tina Walsweer

Videomitschnitt der festlichen Abendveranstaltung in Schloss Herrenhausen.

Ausführliches Interview mit der diesjährigen Gewinnerin des Opus Primum Nachwuchsförderpreises.

Pressemitteilung mit Begründung der Jury für die Vergabe des Opus Primum Nachwuchsförderpreises.

Bibliografische Angabe

"Das Aquarium. Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion (1840-1910)", Mareike Vennen; Wallstein Verlag, 2018; 432 Seiten mit Abb., 37,00 Euro

Biografische Daten

Dr. Mareike Vennen, Jg. 1982, ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin. Sie promovierte 2016 an der Bauhaus-Universität Weimar und forscht aktuell zur Medien- und Wissensgeschichte der Naturkunde sowie zu Sammlungs- und Museumskulturen im 19. und 20. Jahrhundert.

Hintergrundinformationen zum Förderpreis Opus Primum

Ob Geistes- oder  Gesellschaftswissenschaften, Kultur- oder Naturwissenschaften, Informatik, Erziehungs- oder Musikwissenschaften – nicht das Fachgebiet ist entscheidend für die Auswahl zum Opus Primum. Einzig, dass eine deutschsprachige Publikation gut lesbar geschrieben, einem breiten Publikum verständlich und von hoher wissenschaftlicher Qualität sein muss, ist Voraussetzung, um für den Förderpreis infrage zu kommen. Die VolkswagenStiftung möchte mit der Auslobung des Opus Primum den wissenschaftlichen Nachwuchs stärken und unterstreichen, dass Wissenschaftsvermittlung für die Forschung eine zentrale Aufgabe ist.

Der Preis richtet sich ausdrücklich an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Regel nicht älter als 35 Jahre sein sollten. Die Publikationen müssen über die jeweiligen Verlage eingereicht werden, welche sich mit jeweils bis zu drei Titeln bewerben können. Das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro geht an die Autorin bzw. den Autor und ist zur eigenen Weiterbildung im Forschungsfeld, dem Besuch von wissenschaftlichen Konferenzen oder zur Anschaffung von Literatur für Forschungsvorhaben gedacht.

Dr. Ulrich Kühn moderierte den Abend, der live auf NDR Kultur übertragen wurde. (Foto: Stefan Koch für VolkswagenStiftung)