
"Früh übt sich?" hatte die Volkswagen Stiftung eine Expertenrunde zum Thema Lernen unter Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) gefragt. Werden soziale Roboter in Kindergärten unsere Kleinsten betreuen um diese so für die digitalisierte Welt von morgen zu präparieren? Werden Roboter an den Schulen Pädagogen ersetzen und selbständig Unterrichtsstunden geben? Zumindest nicht auf absehbare Zeit, da war man sich auf dem von NDR-Redakteurin Ulrike Heckmann moderierten Podium schnell einig. Vielleicht auch deshalb blieben viele Fragen unbeantwortet.
KI im Bildungssystem ist Zukunftsmusik
Der Informatiker und Physiker Prof. Dr. Stefan Kopp, der an der Universität Bielefeld die Forschungsgruppe "Kognitive Systeme und soziale Interaktion" leitet, forscht seit vielen Jahren an Lern-Lehr-Prozessen. Forschungsziel sei ein automatisiertes und gleichzeitig personalisiertes Lernen, das zu besseren Lernergebnissen führe, erklärte der 46-Jährige. Dieses maßgeschneiderte Lernen solle den Zugang zu Bildung einfacher, flexibler und somit auch gerechter gestalten. KI-Systeme seien im Einzelunterricht einsetzbar, was entsprechend veranlagten Kindern ein selbstbestimmtes, angstfreies Lernen ermöglichen könne. Soziale Roboter am Ende also doch als Hilfslehrer an der Seite der vorhandenen Lehrkräfte?

Soweit sei die Forschung lange nicht, schränkte Kopp selbstkritisch ein. An KI werde zwar seit mehr als 30 Jahren geforscht, allerdings habe sich noch nirgends auf der Welt ein KI-System als Teil des normalen Bildungssystems etabliert. "Mehr als Einzelprojekte sind dabei leider nicht herausgekommen." Kopp wies auf eine Studie aus dem Iran hin, wo eine Lehrerin gemeinsam mit einem Roboter eine Klasse unterrichte – eine Ausnahme. Im Prinzip verfüge bis heute so gut wie kein vorhandenes System über ein robustes Verhalten in alltäglichen Umgebungen. "Deshalb sind wir auch noch in der Forschung damit beschäftigt, die Systeme alltagsfähig zu machen." Kopp warb mit Hinweis auf die ersten Flugmaschinen, die auch nicht besonders gut fliegen konnten, um Geduld bei der Entwicklung und Implementierung von KI.
Mensch und Maschine müssen einander verstehen
Die Diskussion machte deutlich, dass die Technik nur ein Teil-Problem bei der digitalen Revolution in den Klassenzimmern ist, und sie ist offensichtlich nicht das größte. Eine weitere ungelöste Herausforderung: Wie bringt man Robotern soziales Verhalten bei, damit sie mit Menschen sinnvoll interagieren können? Wie lernen sie, ihre Gegenüber zu verstehen und darauf zu reagieren? Damit KI beim Lernen helfen könne, müsse ein wechselseitiges Verständnis vorhanden sein: Kann der Mensch die Maschine verstehen, und kann die Maschine den Menschen verstehen. Aber wie können Maschinen menschliches Verhalten lernen? "Indem man sich zuerst den Menschen anguckt und sehr genau versteht, wie Menschen sozial interagieren", so der Ansatz von Stefan Kopp.

Pädagogische Konzepte fehlen
Weitgehende Übereinkunft herrschte auf dem Podium bei der Feststellung, dass es derzeit immer noch an überzeugenden pädagogischen Konzepten fehle, um Roboter zu vollwertigen Lernpartnern zu machen. Dr. Katharina Rohlfing, Professorin für Psycholinguistik an der Universität Paderborn, hat sich als Sprachlernforscherin nach eigenen Worten "eingemischt", weil KI-Forscher nach ihrer Überzeugung zu wenig vom Lernen als solches verstehen. Auch Scarlet Siebert, Doktorandin an der Technischen Hochschule Köln, bemängelte, dass in der aktuellen KI-Forschung im Wesentlichen die Weiterentwicklung der Technologie und weniger pädagogische Konzepte im Fokus stünden. Stefan Kopp machte darauf aufmerksam, dass er für seine Forschung durchaus mit Pädagogen kooperiere. So habe man Lehrkräfte und Fachkräfte in Kindergärten befragt, wie man zum Beispiel Unaufmerksamkeit bei Kindern überhaupt erkennen könne.

Kinder als Herausforderung für KI
Soziale Roboter seien heute häufig noch bloße Lieferanten von Information mit vorgegebenen, manifestierten Konzepten, kritisierte Katharina Rohlfing. Lerninhalte würden nach dem Prinzip "Gießkanne" über die Kinder verteilt, ohne deren individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Wenn KI bei Kindern funktionieren solle, dann müsse sie sich multimodal, also in Sprache und Gestik, den Kindern anpassen, forderte die Sprachwissenschaftlerin. Eine funktionierende Spracherkennung kindlicher Sprache ist aus Sicht der 48-Jährigen eine der großen Hürden beim Einsatz von KI in Klassenzimmern. Kinder kommunizierten anders als Erwachsene. Solche Abweichungen seien für eine künstliche Intelligenz noch sehr schwer zu deuten. Technisch sei die Simulation von Sprache, die fast nicht mehr von menschlicher Sprache zu unterscheiden sei, kein Problem mehr, entgegnete Stefan Kopp. Allerdings verlasse sich Spracherkennung in der Tat darauf, dass der Sprecher korrektes Deutsch spreche, schränkte der Informatiker ein. "Und Kinder artikulieren anders. Die nicken auch mal einfach nur."
Robotik als Wirtschaftsfaktor
Einen grundsätzlichen Ansatz vertritt die Stiftung Robokind aus Hannover, für die Dr. Jasmin Grischke als Mitglied des Stiftungsrats an der Diskussion teilnahm. Die Frage "Jedem Kind einen Roboter?" bejahte Grischke uneingeschränkt. Die Stiftung wolle den Bekanntheitsgrad von Robotik allgemein erhöhen und eine weitgehende Akzeptanz für Technik schaffen. Der Stiftung gehe es ausdrücklich nicht nur um soziale Roboter, sondern auch um Robotik-Werkzeuge, betonte die 37-Jährige. Neue Technologien sollten später gewinnbringend eingesetzt werden, ausgelagerte Wertschöpfungsketten mittels effektiver Robotik wieder nach Deutschland zurückgeholt werden. "Sollten Lehrroboter irgendwann einmal Realität werden, dann freuen wir uns darauf, das zu sehen", so Grischke.

Ob soziale Roboter tatsächlich jemals Einzug in den Lehrbetrieb halten werden, konnte das Herrenhäuser Forum an diesem Abend nicht klären. Viele Fragen blieben offen, was die mehr als 160 Gäste des Forums am Ende ein wenig ratlos zurückließ. Können Kinder mit einem Roboter besser lernen? Ja und nein. Für mathematische Konzepte, Sprachvokabular und motorische Aufgaben seien Roboter gut geeignet, befand Stefan Kopp. Ein Roboter sei nie abgelenkt, nie ungeduldig – in diesen Punkten sei er einem menschlichen Tutor überlegen. Katharina Rohlfing skizzierte Einsatzgebiete bei sprachentwicklungsverzögerten und lernschwachen Kindern, die viele Routinen benötigten. Zur prinzipiellen Frage, ob ein Roboter der bessere Lehrer sei, gebe es allerdings unterschiedliche Befunde.

Über das Lernen lernen
Wo wir in zehn Jahren auf soziale Roboter treffen werden? Ungewiss. Katharina Rohlfing würde sich einen festen Platz in Kindergärten wünschen, wo über Technologie gesprochen wird, wo Technologieerprobung zum Kita-Alltag gehört, um ein kritisches Technologieverständnis und das dazugehörige Vokabular zu erzeugen. Stefan Kopps Forschung zielt darauf ab, KI-Systeme sozial intelligenter zu machen, so dass Kinder Spaß mit ihrem neuen Interaktionspartner haben und dadurch mehr lernen. KI, findet Kopp, müsse auch in zehn Jahren nicht überall im Bildungsbereich eingesetzt werden. Vielmehr lerne man im Bereich der Grundlagenforschung viel über das Lernen.
Es gehe nicht um eine Konkurrenz der künstlichen Intelligenz zu menschlicher Didaktik, sondern um deren Integration in schulische Abläufe – da war man sich auf Expertenseite einig. Soziale Roboter werden auch in zehn Jahren keine vollwertigen Lehrer sein, sondern Spielzeuge, Kameraden, Gleichaltrige, Assistenten, vielleicht Tutoren, prognostizierte Katharina Rohlfing. Was davon genau oder doch alles gleichzeitig – in zehn Jahren dürfte man schlauer sein?
Autor: Bruno Brauer