
Audio: Herrenhäuser Forum "Autonomes Fahren – Wohin steuern wir?"
Es diskutierten Prof. Dr. Barbara Lenz, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Berlin, Prof. Dr. Markus Maurer, TU Braunschweig, Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universität Würzburg, Dr. Wiebke Zimmer, Öko-Institut e. V.
Moderation: Korbinian Frenzel, Deutschlandfunk Kultur

Doch wann genau tritt der sichere Zustand ein, in dem "normale" neben autonomen Autos zusammen "glatt" durch den Verkehr gleiten? Das diskutierten auf dem Podium neben Eric Hilgendorf auch der Ingenieur Markus Maurer, Professor von der Technischen Universität Braunschweig, die Verkehrsforscherin Barbara Lenz vom deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie Wiebke Zimmer vom Öko-Institut e. V..
Falsche Prioritäten?
Zimmer bezeichnete die Forcierung einer schnellen Einführung autonomer Autos als verfehlt und appellierte eindringlich, in der gesellschaftlichen Debatte dem selbstfahrenden Auto keinen höheren Stellenwert als dem Umweltschutz einzuräumen. "Wir haben den Klimawandel, wir haben gravierende Umweltverschmutzungsprobleme und wir haben die Einführung autonomer Autos. Um was sollte sich die Politik zuerst kümmern?"
Chancen des autonomen Fahrens: Videointerview mit den Podiumsgästen
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Das autonome Auto – ein Klimakiller?
Dass selbstfahrende Autos nicht zur Entlastung der Luftqualität beitragen, bestätigte Verkehrsprofessorin Barbara Lenz. Sie zitierte eine Studie, die prognostiziert, dass nach der flächendeckenden Einführung autonomer Autos die Zahl der Autofahrten um 6 % ansteigen würden. "Das Auto ist des Deutschen liebstes Ding", resümierte Lenz. Heute wie in der Zukunft gelte dasselbe: Wer längere Distanzen zurücklegen muss, wählt zuerst das Auto.

Das eigene autonome Auto kannibalisiere also auch in der Zukunft andere Fortbewegungsarten wie die S-Bahn-Fahrt zur Arbeit oder die Fahrradfahrt zum Supermarkt, führte Lenz aus. Wer ein Auto besitze, benutze es automatisch mehr als andere Transportmittel. Wie gern die Deutschen ihre vier Räder haben, zeige, dass sich der Bestand von gekauften Autos beständig jedes Jahr um eine halbe Million erhöhe. Einig waren sich Zimmer und Lenz, dass man bei allen Prognosen dennoch nicht abschätzen könne, wie hoch die Akzeptanz gegenüber dieser neuen Technologie tatsächlich ausfallen werde.
Dass immerhin die Bürger Hannovers einem digitalisierten Auto nicht skeptisch gegenüberstehen, zeigte die Fragerunde an das Publikum: Mindestens die Hälfte aller Hände ging hoch, als gefragt wurde, wer sich vorstellen könne, ein selbstfahrendes Auto zu nutzen.

Offene Debatte notwendig
Dass beileibe noch nicht alle in ein autonomes Auto einsteigen würden, selbst wenn diese flächendeckend vorhanden wären, griff Markus Maurer vom Institut für Regelungstechnik der Technischen Universität Braunschweig in seinem Beitrag auf und plädierte für eine offenere Debattenkultur. Die Ingenieure autonomer Autos sollten ihre Entscheidungen transparenter machen, "denn hier entscheiden Techniker, die nicht ethisch ausgebildet worden sind, aber dennoch ethische Entscheidung mit der Programmierung der Software treffen."
Die Lehre aus dem Dieselskandal könne für Autohersteller nicht sein, politische Regeln vermeintlich zu akzeptieren und diese durch die Hintertür wegen Rentabilitätsbedenken dann zu umgehen. Autohersteller und ihre Techniker sollten sich offensiv mit den Risiken autonomer Autos auseinandersetzen und einen verständlichen Dialog über das tatsächliche Können und Nutzen der selbstlernenden Systeme mit der Gesellschaft führen. Noch lange seien nicht alle Entscheidungen getroffen, wie sich das Fahrzeug in bestimmten Situationen idealerweise verhalten solle.

Abwägen zwischen Gesetz und menschlichem Pragmatismus
"Ich bin gespannt darauf, was passiert, wenn das Auto mit sich selbst verhandelt", sagte Maurer und führte ein Beispiel für eine schwierige Situation an: Würde ein Lieferwagen mitten auf der Straße parken, warte der Autofahrer zumeist, bis die andere Spur frei werde und überhole dann den Wagen. Doch was, wenn das selbstfahrende Auto weiß, dass es auf gar keinen Fall die durchgezogene Linie zwischen zwei Fahrbahnen überrollen darf? Theoretisch säße man dann mit dem autonomen Auto hinter dem Lieferwagen fest und würde zudem einen endlosen Stau hinter sich verursachen.
Der normale Autoverkehr funktioniere nämlich nur reibungslos, weil Fahrer ständig Abwägungsentscheidungen zwischen Verkehrsgesetzen und menschlichem Pragmatismus treffen, erklärte der Wissenschaftler. Ein Algorithmus der diese Entscheidungen ebenfalls fällen könnte, müsste Entscheidungen anhand des Kontexts treffen. Laut Maurer "eine unglaublich schwere Aufgabe, die reale Welt maschinell nachzubilden." Ethische und gesellschaftliche Abwägungen von Beginn an in der Programmierung digitaler Anwendungen mitzudenken – nicht nur ein lohnenswerter sondern ein notwendiger Forschungsansatz, den die Förderinitiative "Künstliche Intelligenz - ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft von morgen" der VolkswagenStiftung unterstützt. Für die Förderung können sich interdisziplinär arbeitende Geistes- und Technikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bewerben.
Risiken des autonomen Fahrens: Videointerview mit den Podiumsgästen
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Das autonome Fahrzeug ist Zukunftsmusik
Einig waren sich die Expertinnen und Experten auf dem Podium, dass es noch sehr lange dauern wird, bis Autos vollständig autonom agieren werden. Die juristischen Fragen sollten bereits vor dem Beginn des autonomen Fahrzeitalters geklärt sein, forderte Jurist Hilgendorf. Seine Zunft hatte schon heute darüber zu entscheiden, ob Hersteller von Spurassistenzsystemen fahrlässig handelten, als ein Auto wieder auf die Fahrspur gelenkt wurde, nachdem der Fahrer bewusstlos geworden war.

Der konkrete Fall: Nahe Aschaffenburg hatte ein 51 Jahre alter Fahrer einen Schlaganfall am Steuer, verriss das Lenkrad und fuhr auf den Randstreifen der Fahrbahn. Das Auto lenkte ihn jedoch mithilfe des Spurhalteassistenten selbstständig wieder zurück in die korrekte Fahrspur – mit der Folge, dass im weiteren Straßenverlauf der Wagen zwei Fußgänger tödlich verletzte, während der Fahrer bewusstlos hinter dem Steuer saß. Der Fall beschäftigte vergangenes Jahr die Gerichte, die zu dem Ergebnis kamen, dass der Autohersteller nicht für den Tod der beiden Personen am Straßenrand haften müsse. Er hatte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft alle zum damaligen Zeitpunkt bekannten Vorkehrungen getroffen, um Unfälle zu vermeiden, und daher nicht fahrlässig gehandelt.
Das deutsche Verkehrsrecht sei ein sehr umfassend geregeltes Rechtsgebiet, erklärte Professor Hilgendorf, und dennoch sei es nicht immer offensichtlich, wer die Verantwortung in einem Schadensfall trage. Die Frage, ob Mensch oder Maschine "haftbar" sind, sei eine knifflige, der wir uns in Zukunft nun häufiger stellen müssten.

Daraus ergibt sich auch die Frage: Ist in Zukunft beim Verkehrsunfall eines autonomen Autos der menschliche Fahrer verantwortlich oder die selbstlernende Maschine, die zwar eine grundsätzlich rechtskonforme Programmierung besitzt, sich vielleicht aber fahrlässige Fahrweisen von anderen Autofahrern abschaut oder durch gewisse Freiheiten bei der Entscheidungsfindung selbstständig Menschen in Gefahr bringt? Es bleibt eine spannende Debatte.
Autorin: Valerie Lux