Neue Postdoktoranden-Projekte in Museen ermöglicht

Für die sammlungsbezogene Forschung an Museen hat das Kuratorium der VolkswagenStiftung neue Projekte bewilligt, die Postdoktorand(inn)en Einblicke in die deutsche und internationale Museumslandschaft eröffnen.

Ob Bio-, Geo- oder Geisteswissenschaften – die Felder, aus denen Projektanträge für die letzte Ausschreibungsrunde der Förderinitiative "Forschung in Museen" im Bereich "Fellowships für Postdoktorandinnen und Postdoktoranden" kamen, waren vielfältig. Die Förderungen in dieser Initiative werden für bis zu vier Jahre an Postdoktorand(inn)en in den ersten fünf Jahren nach der Promotion vergeben. Sie ermöglichen ihnen die Forschung auf einem frei gewählten Fachgebiet sowie die Vorbereitung einer Präsentation der Ergebnisse für die Öffentlichkeit in Form einer Ausstellung. Auf diese Weise qualifiziert das Fellowship sowohl für berufliche Perspektiven im Museumsbereich als auch für die Universität.

Die zum Stichtag am 15. Juli 2015 eigegangenen Forschungsanträge wurden unter anderem hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Qualität, einer innovativen Fragestellung, der Vernetzung zwischen Museen und anderen Forschungseinrichtungen und auch der Perspektive für die Antragsteller sowie die beteiligten Museen begutachtet. Für die Projekte wurden nun insgesamt rund 2,8 Mio. Euro bewilligt.

Kurzzusammenfassung der in dieser Runde erfolgreichen Anträge:

Martin Kubiak, Universität Hamburg: Distribution patterns and population dynamics of aquatic insect species of raised bogs and fens in Northern Germany

Eingriffe durch den Menschen gefährden die Lebensräume von Insekten in Hoch- und Niedermooren in Norddeutschland. Martin Kubiak möchte in seinem Projekt den aktuellen Bestand dieser Insektenfauna analysieren. Den Fokus legt er dabei auf die Rekonstruktion früherer Artengemeinschaften von Köcherfliegen, Grundlage dafür ist Belegmaterial aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ob sich seitdem Veränderungen in der Zusammensetzung der Arten ergeben haben, will er mithilfe aktueller Aufsammlungen, die die wichtigsten aquatischen Insektenordnungen umfassen, aufzeigen. Die Projektergebnisse will Kubiak im Rahmen einer Sonderausstellung sowie in Zeitschriftenartikeln publizieren.

Dr. Bertram Kaschek, Technische Universität Dresden: Christian Borchert: Fotograf, Archivar, Medienarchäologe

Im Fokus des Projekts steht Christian Borchert (1942-2000), der in der deutschen Fotogeschichte des 20. Jahrhunderts eine herausragende Position einnimmt. Seine dokumentarischen Aufnahmen hatten eine eigene Bildsprache, waren zumeist distanziert-analytisch und ohne verklärende Nostalgie. Er arbeitete vor allem mit Bildserien, unter anderem als visuelle Chronik der DDR und der Nachwendezeit. Auch Borcherts eigenwillige archivarische Praxis und sein quasi-archäologischer Umgang mit visuellen Medien wie Film und Fernsehen waren für ihn charakteristisch. Bislang fehlt jedoch eine eingehende und umfassende Auseinandersetzung mit seinem Gesamtwerk. Die Ergebnisse möchte der Postdoktorand in einer Monographie sowie in einer Ausstellung publizieren.

Diese Köcherfliege wurde am 25. Mai 1906 im Eppendorfer Moor bei Hamburg durch den Naturforscher Georg Ulmer gefangen und ist eines der Forschungsoblekte von Martin Kubiak. (Foto: UHH / CeNak - Kubiak)
Dr. Panagiotis Poulopoulos, Deutsches Museum, München: A Creative Triangle of Mechanics, Acoustics and Aesthetics: The Early Pedal Harp (1780-1830) as a Symbol of Innovative Transformation

Zwischen 1780 und 1830 war die Harfe bei Amateuren und professionellen Künstlern in Europa ähnlich populär wie das Klavier. Im Rahmen seines Projekts will Panagiotis Poulopoulos die Entwicklung der Pedalharfe aus einer historischen, technischen, musikwissenschaftlichen und soziokulturellen Perspektive erforschen, anhand der Dokumentation der vielfältigen Veränderungen des Instruments in dieser Zeit. Das Projekt basiert auf der Instrumentensammlung des Deutschen Museums und integriert einzelne Objekte aus weiteren öffentlichen und privaten Sammlungen in Deutschland und dem Ausland. Die Ergebnisse des Projekts werden unter anderem in einer Monographie präsentiert und fließen zudem in die neue Dauerausstellung der Musikinstrumente des Deutschen Museums mit ein.

Das Projekt von Dr. Panagiotis Poulopoulos basiert auf der Sammlung von Pedalharfen des Deutschen Museums. (Foto: Deutsches Museum)
Ulrich Mechler, Universität Kiel: Schwere Geburt – Die Kieler geburtshilfliche Beckensammlung und die Verwissenschaftlichung der Geburtspraxis

Die sogenannte Beckenlehre gilt als wichtiger Schritt in der Entwicklung der Geburtshilfe hin zu einer selbstständigen medizinischen Disziplin. Die Beckenlehre selbst basiert auf Erkenntnissen aus der Michaelis-Litzmann‘schen Beckensammlung, die 31 Trockenpräparate weiblicher Beckenknochen mit unterschiedlichen anatomischen Anomalien umfasst. Diese Anomalien haben oftmals direkt oder indirekt zu Geburtskomplikationen geführt. Zu einigen der Präparate sind Geburtsprotokolle verfügbar. Ulrich Mechler möchte in seinem Projekt den Forschungsprozess untersuchen, bei der ein natürlicher Gegenstand, ein Körperteil, in ein wissenschaftliches Forschungsobjekt umgewandelt wird, um Komplikationen bei der Geburt medizinisch handhabbar zu machen. Zudem möchte er die Präparate digital erfassen und als frei rotierbare dreidimensionale Computermodelle darstellen, um sie auch für die aktuelle Lehre von Geburtsmedizinern und Hebammen nutzbar zu machen. Die Projektergebnisse werden in einer Sonderausstellung veröffentlicht.

Der Kieler Beckenschrank von Michaelis und Litzmann, eine Sammlung von krankheitsbedingt deformierten Becken von Frauen, die nach komplizierten Geburtsläufen oder im Wochenbett an Infektionskrankheiten starben (um 1840). (Foto: Medizin- und pharmaziehistorische Sammlung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)
Dr. Vilma Ruppiene, Universität Würzburg: Naturstein-Inkrustationen in der spätrömischen Kaiseraula zu Trier. Provenienzbestimmung und Rekonstruktion

Die Kunst der Fassadenverkleidung mit zumeist wertvollen Gesteinsarten, die Inkrustationen, gehört seit dem frühen 1. Jh. n. Chr. zur Innenausstattung der öffentlichen und privaten Bauten Roms und der römischer Provinzen, auch zur Kaiseraula in Trier. In ihrem Projekt will Vilma Ruppiene die Innenausstattung der Palastaula archäologisch und archäometrisch, also mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden, untersuchen. Sie will das ehemalige Aussehen der Inkrustationen erforschen, Flächenmuster und Materialvielfalt analysieren und die Ergebnisse mit der Inkrustationskunst anderer Bauten vergleichen. Archäometrische Untersuchungen sollen Informationen über die Herkunft der Natursteine, Handelsbeziehungen und regionale Steinbruchtätigkeit im frühen 4. Jh. n. Chr. liefern. Die Ergebnisse werden in einer Publikation und einer Ausstellung veröffentlicht.

Dr. Andrea Scholz, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Ethnologisches Museum: Lebende Dinge in Amazonien und im Museum – Geteiltes Wissen im Humboldt-Forum

Die "Dekolonisierung" ethnologischer Museen, also die Beachtung des Endes der kolonialen Herrschaft mit gleichzeitigem Erlangen staatlicher Unabhängigkeit, wird derzeit intensiv diskutiert. Das Humboldt-Forum möchte in diesem Kontext die Deutungshoheit über seine Sammlungen abgeben, insbesondere an Menschen aus den Herkunftsregionen der Objekte. In ihrem Projekt möchte Andrea Scholz Wege für die Umsetzung dieses Ziels aufzeigen. Sie wird dazu eine bereits bestehende Online-Plattform weiterentwickeln, in der Amazonien-Objekte gemeinsam mit Vertretern aus Venezuela, Brasilien, Kolumbien und Deutschland beforscht werden. Es soll auch eine Version der Plattform entstehen, mit deren Hilfe Besucher der Amazonien-Ausstellung des Humboldt-Forums die Erkenntnisse und Austauschprozesse nachvollziehen können.

Vilma Ruppiene untersucht unter anderem diese Inkrustationen in ihrem Forschungsprojekt. (Foto: Vilma Ruppiene)
Dr. Mónica M. Solórzano Kraemer, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum: Can Anthropocene resins (copal) inform us about loss and change of biodiversity?

Die Baumharze Bernstein und Kopal stehen im Mittelpunkt des Projekts von Mónica M. Solórzano Kraemer: Zum einen will sie offene Fragen über Ursprünge (Baumart und Alter) der Kopale aus Madagaskar und Kolumbien beantworten. Zum anderen will sie untersuchen, warum nur wenige der Gliederfüßer-Arten, die in baumharzproduzierenden Wäldern gelebt haben, im Harz gefangen wurden bzw. werden. Dabei will sie Gliederfüßer in mexikanischen und dominikanischen Bernsteinen mit denen in Kopal sowie denen, die um die heutigen baumharzproduzierenden Bäume leben, vergleichen. Ihre Ergebnisse will die Forscherin in Publikationen und einer Ausstellung am Museum veröffentlichen.

Dr. Márton Rabi, Universität Tübingen: Climatic Drivers of Ectotherm Diversity During the Global Warming Events of the Eocene

Amphibien und Reptilien sind bedeutende Komponenten zahlreicher Ökosysteme weltweit. Da sie wechselwarm sind, also keine konstante Körpertemperatur aufweisen, benötigen sie neben der Nahrung zusätzliche Energie aus ihrer Umgebung, um zu überleben. Da sie eine enge Bindung zum Umgebungsklima haben, wirkt sich dieses u. a. auf Artenvielfalt, Artzusammensetzung, Populationsstruktur, Vorkommen und individuelle Körpergröße aus. Um den Wandel dieser Biodiversität der Amphibien und Reptilien im Mittleren Eozän (vor 38 bis 47,8 Mio. Jahren) bestimmen zu können, will Márton Rabi in seinem Projekt Fossilien aus der Geiseltalsammlung untersuchen und im Zusammenhang mit den Klimaveränderungen analysieren. Auch die Untersuchung im Vergleich zu Fossilien anderer Fundorte ist geplant. Die Ergebnisse sollen  in die zukünftige Dauerausstellung der naturkundlichen Sammlungen in Halle (Saale) einfließen, zudem sind Publikationen geplant.

Die Baumharze Bernstein und Kopal geben Dr. Mónica M. Solórzano Kraemer in ihrem Projekt Aufschluss über Abstammung und Entwicklung von Gliederfüßer-Arten. (Foto: Enrique Peñalver)