Mengenlehre für Immunzellen

Forscher der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums haben ein 'Zahlen-Gedächtnis' bei Immunzellen entdeckt. Damit könnten Immunreaktionen zukünftig gezielt verstärkt oder abgeschwächt werden.

Die Wissenschaftler um den Lichtenberg-Professor Dr. Max Löhning, stellvertretender Direktor des Forschungszentrums für Immunwissenschaften der Charité, untersuchen den Reifeprozess sowie die funktionelle Prägung von T-Helferzellen. Diese Immunzellen schütten Botenstoffe, sogenannte Zytokine, aus, um Immunantworten und Entzündungen zu steuern und zu regulieren. Die Zytokinproduktion muss sehr fein abgestimmt sein, denn in zu hoher Dosis können die an sich nützlichen Botenstoffe dem eigenen Körper schaden: Im schlimmsten Fall werden körpereigene Strukturen angegriffen, wie es bei Autoimmunerkrankungen der Fall ist, oder es werden für den Körper eigentlich harmlose Stoffe bekämpft, wie es zum Beispiel bei Allergien auf Nahrungsmittel vorkommt.

Bildausschnitt aus dem Cover der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Immunity (Januar 2015) (Bild: Max Löhning)

An Reaktionen des Immunsystems, z.B. bei vielen Infektionen, sind sowohl T-Helferzellen beteiligt, die geringe Mengen eines bestimmten Zytokins herstellen, als auch solche, die viel davon produzieren. Bislang gingen Forscher davon aus, dass die jeweilige Menge an Botenstoff, die eine T-Zelle produziert, zufällig festgelegt wird und nicht in den einzelnen Zellen stabil festgeschrieben ist. Jetzt konnte das Team um Max Löhning zeigen, dass eine T-Helferzelle bei ihrer ersten Aktivierung, z.B. bei Kontakt mit einem Virus, nicht nur lernt, welches Zytokin sie produzieren soll, sondern auch, in welcher Menge. Dieses "quantitative Zytokingedächtnis" behalten die T-Helferzellen stabil bei. Nach überstandener Infektion wandeln sich einige dieser Zellen in langlebige Gedächtnis-T-Zellen um. Bei einer erneuten Infektion werden die Gedächtnis-T-Zellen aktiviert und schütten wieder die gleiche, vorgeprägte Menge des Zytokins aus.

Im Zellkern werden die Produktionsmengen festgelegt

Die Wissenschaftler konnten ein spezielles Protein identifizieren, einen sogenannten Transkriptionsfaktor, das als "schwimmende Produktionsanweisung" in jeweils spezifischen Mengen im Zellkern vorliegt. Je größer die Menge an Transkriptionsfaktor, desto mehr Zytokin wird produziert, und umgekehrt. Der Transkriptionsfaktor wird bei der Zytokin-Produktion nicht verbraucht. Seine Menge und damit auch die von dieser Zelle produzierte Zytokin-Menge bleiben konstant.

Nach der Aktivierung behalten T-Helferzellen die Zytokin-Produktionsmenge stabil bei, auch noch nach ihrer Umwandlung in Gedächtniszellen. (Bild: Max Löhning)

Über diesen neu entdeckten Mechanismus zur Regulierung der Produktionsmengen von Zytokinen könnte es künftig möglich sein, Immunreaktionen gezielt zu beeinflussen. Im Fall von Autoimmunerkrankungen oder Allergien würden beispielsweise solche Immunzellen gefördert, die nur geringe Mengen an Botenstoffen ausschütten, um die Immunantwort insgesamt abzumildern. Beim Kampf gegen Krebszellen und viele Infektionen hingegen würde die Anzahl hoch aktiver Immunzellen erhöht. Die Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Immunity veröffentlicht.

Originalpublikation:
"Individual T helper cells have a quantitative cytokine memory"

, Immunity 42, 20. Januar 2015. Caroline Helmstetter, Michael Flossdorf, Michael Peine, Andreas Kupz, Jinfang Zhu, Ahmed N. Hegazy, Maria A. Duque-Correa, Qin Zhang, Yevhen Vainshtein, Andreas Radbruch, Stefan H. Kaufmann, William E. Paul, Thomas Höfer und Max Löhning. doi:10.1016/j.immuni.2014.12.018

Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Max Löhning
Lichtenberg-Professur für Experimentelle Immunologie
Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM)
Med. Klinik m. S. Rheumatologie u. Klinische Immunologie
Deutsches Rheuma-Forschungszentrum (DRFZ)
Charitéplatz 1, D-10117 Berlin
Tel.: +49 (0)30 28460-760/-711

Mit den "Lichtenberg-Professuren" kombiniert die VolkswagenStiftung die personen- und institutionsbezogene Förderung: Indem herausragende (Nachwuchs-)Wissenschaftler(innen) eine Tenure-Track-Option an einer selbst gewählten deutschen Universität erhalten, bekommen sie die Möglichkeit, eigenständig und langfristig in innovativen und interdisziplinären Bereichen zu forschen. Der nächste Stichtag ist der 2. Juni 2015. Weitere Informationen unter Lichtenberg-Professuren.