Einwanderung: Deutschland fortschrittlicher als öffentlich wahrgenommen

Der SVR fordert in seinem aktuellen Jahresgutachten ein migrationspolitisches Gesamtkonzept, das Deutschland strategisch als Einwanderungsland positioniert.

Das sechste Jahresgutachten des SVR (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration) zieht einen internationalen Vergleich zwischen der Migrations- und Integrationspolitik von Deutschland, ausgewählten EU-Staaten sowie klassischen Einwanderungsländern wie Kanada und den USA. Dabei schneidet Deutschland besser ab, als es der aktuelle öffentliche Diskurs erwarten lässt. "Deutschland reiht sich im internationalen Vergleich in die Riege fortschrittlicher Einwanderungsländer ein", sagte Prof. Dr. Christine Langenfeld, Vorsitzende des SVR, bei der Vorstellung des Jahresgutachtens in Berlin. "Das Ergebnis entspricht nicht der Selbstwahrnehmung Deutschlands im öffentlichen Diskurs. Wir sind besser als wir glauben." Deutschland habe politisch-konzeptionell in vielen Bereichen des Migrationsmanagements und der Integrationsförderung in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt und könne sich im Vergleich mit klassischen Einwanderungsländern sehen lassen. "In der politischen Debatte in Deutschland wird dies häufig übersehen", berichtete Langenfeld. Trotzdem, so erklärte sie weiter, fehle nach wie vor eine migrationspolitische Gesamtstrategie. Unter anderem gelte es, das Selbstverständnis Deutschlands als Einwanderungsland zu festigen.

Strukturelle Reformen am europäischen Asylsystem erforderlich

In seinen aktuellen Handlungsempfehlungen schlägt der SVR vor, ein neues Verfahren für die EU-Flüchtlingspolitik zu prüfen: Flüchtlinge sollen nach der Anerkennung ihres Asylantrags in ein EU-Land ihrer Wahl weiterwandern können, insbesondere zum Zweck der Arbeitsuche. An der Idee der Zuständigkeit des Ersteinreisestaates (Dublin-Prinzip) soll grundsätzlich festgehalten werden – es soll jedoch mit der freien Wahl des EU-Zielstaates nach erfolgreichem Abschluss des Asylverfahrens verbunden werden. Der Staat der Ersteinreise ist somit weiterhin für die Aufnahme, das Asylverfahren und die Rückführung von nicht anerkannten Flüchtlingen zuständig. Der Vorteil einer solchen Reform für die Mitgliedsländer: Die Ersteinreisestaaten erhalten finanzielle und logistische Unterstützung für die Aufnahme der Flüchtlinge sowie die Perspektive, dass sie nicht mehr allein für alle anerkannten Flüchtlinge zuständig bleiben. Im Gegenzug müssen die nordeuropäischen Staaten nicht länger eine große Zahl von Asylverfahren von Flüchtlingen bearbeiten, die entgegen den Regeln im Erstaufnahmeland nicht registriert wurden. Darüber hinaus empfiehlt der SVR eine moderne Staatsbürgerschaftspolitik: Deutschland sollte eine aktive Einbürgerungspolitik praktizieren, wobei aus Einwanderern Bürger mit allen Rechten und Pflichten werden können – insbesondere dem Wahlrecht. Außerdem sollte besonders gut integrierten Einwanderern eine 'Turbo-Einbürgerung' ermöglicht werden. Überdies müsse sich Deutschland auch für ein modernes Staatsbürgerschaftskonzept stark machen, das der Wirklichkeit einer Migrationsgesellschaft gerecht wird.