Dr. Niklas Boers stellte im Schloss Herrenhausen in Hannover sein Freigeist-Forschungsprojekt vor. (Foto: Philip Bartz)
Welche Erkenntnisse haben Ihnen die neuen Methoden noch ermöglicht?
Ich habe kürzlich gezeigt, dass eine Ozeanströmung im Atlantik, die Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), nicht nur langsamer wird, sondern auch an Stabilität verliert. Bevor ich auf die Details eingehe ist mir noch eine Richtigstellung wichtig: In einigen Medien wurde geschrieben, dass ich nachgewiesen hätte, dass der Golfstrom bald abbricht. Das ist nicht korrekt wiedergegeben – den Golfstrom wird es geben, solange die Erde sich dreht.
Um welche Strömung handelt es sich genau?
Die AMOC ist eine Ozeanströmung, die im Atlantik von Süden nach Norden fließt, sie ist getrieben durch Dichteunterschiede. Da auf dem Weg stetig ein Teil des Wassers verdunstet, vergrößert sich der Salzgehalt des Wasser immer weiter. Das heißt warmes, salzhaltiges Wasser kommt im Nordatlantik an und kühlt dort ab. Dieses dann sehr kalte, salzige Wasser ist schwerer und sinkt ab, so fungiert es als Motor für die Ozeanzirkulation. Es gibt eine positive Feedbackschleife: Je mehr Salz durch die Strömung nach Norden transportiert wird, desto stärker wird die Strömung. Leider gilt auch: Je mehr Süßwasser etwa durch Eisschmelze in den nördlichen Atlantik kommt, desto schwächer kann die Zirkulation werden.
Wie hat sich die AMOC verändert?
Die Stärke der Strömung hat über die Jahrtausende immer variiert. Seit etwa 10.000 Jahren ist die Strömung im starken Modus, aber der aktuelle Strömungszustand ist trotzdem der schwächste seit mindestens 1500 Jahren. Die Abschwächung der letzten einhundert Jahre hat wahrscheinlich etwas mit der globalen Erwärmung zu tun. Wir wollten nun herausfinden, ob es sich um ein rein graduelles Abschwächen oder um eine Destabilisierung in Richtung eines kritischen Punktes handelt. An diesem sogenannten Kipppunkt würde die Strömung abrupt schwächer. "Abrupt" heißt dann immer noch, dass es Jahrzehnte dauert, aus klimatologischer Sicht ist das jedoch wahnsinnig schnell. Die nature-Studie "Observation-based early-warning signals for a collapse of the Atlantic Meridional Overturning Circulation"3 zeigt, dass wir uns weiter in Richtung eines potentiellen Kipppunktes bewegt haben.
Wie kann sich eine Abschwächung der Ozeanzirkulation auswirken?
Sollte sich die AMOC diesem Kipppunkt nähern und ihn sogar überschreiten, das heißt noch deutlich schwächer werden, hat das weitreichende Auswirkungen auf das globale Klima und auf viele verschiedene Komponenten im Erdsystem. Ganz konkret würde es beispielsweise zu einer deutlichen Absenkung der durchschnittlichen Temperaturen vor allem im nördlichen Europa führen, aber auch zu Veränderungen in den tropischen Monsunsystemen.
Wie kommt es zu dieser Abschwächung der Strömung?
Einerseits dehnen sich die Wassermassen durch die Erwärmung aus, wodurch sie im Nordatlantik nicht mehr so schnell absinken. Anderseits durch den Einstrom von Süßwasser, wie eben schon kurz erwähnt; insbesondere Schmelzwasser vom Grönland Eisschild spielt hier eine wichtige Rolle. In einer weiteren Studie4 haben wir gezeigt, dass auch ein Teil des Grönlandeisschildes im Laufe des letzten Jahrhunderts an Stabilität verloren hat. Durch die zunehmende Schmelze gelangt viel Süßwasser in den Nordatlantik und verdünnt dort das Salzwasser. Unsere Hypothese ist, dass die physikalische Ursache für das Abschwächen der AMOC zumindest auch in der Schmelze des Grönland Eisschilds und des arktischen Meereises zu suchen ist. Der dichtegetriebene "Motor" der Zirkulation verlangsamt sich durch die Verdünnung.