Hornbostel ist besorgt, dass viele der Maßstäbe, anhand derer Forschungsinstitutionen Rechenschaft ablegen sollen, die Wissenschaft weniger effizient und produktiv machen. (Foto: Judith Affolter für VolkswagenStiftung)
Auch ist Hornbostel besorgt, dass viele der Maßstäbe, anhand derer Forschungsinstitutionen Rechenschaft ablegen sollen, die Wissenschaft weniger effizient und produktiv machen. Sie reichen von Exzellenzrankings auf der Basis von Publikationen in High-impact-Journalen bis hin zu dem Druck, sich auf "nützliche" Forschungsgebiete zu fokussieren. "Brauchen wir also weniger Transparenz in der Wissenschaft? Die Antwort ist eindeutig nein", sagt Hornbostel. "Aber wir müssen ein Gleichgewicht finden. Wir brauchen ein System der gegenseitigen Kontrolle, aber wir müssen auch die Überregulierung verhindern, damit die akademische Freiheit nicht in Gefahr gerät."
Selbst die Open-Access-Bewegung, die von Autoren ein Honorar verlangt, damit ihre Arbeit veröffentlicht und kostenlos gelesen werden kann, zog ungeahnte Folgen nach sich: Inzwischen kommt auf jedes seriöse Publikationsorgan wie PLOS-One (die internationale Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science) Dutzende von zwielichtigen Pay-to-publish-Journalen ohne Peer-review-Verfahren. Derlei Publikationen von sog. Raubverlagen haben die Unsicherheit unter jungen Forscherinnen und Forschern erhöht, für die Veröffentlichungen ein wichtiger Bestandteil ihres Karrierewegs sind. "Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen jetzt ganz genau hinschauen, ob es sich um eine anerkannte und seriöse Publikation handelt, oder nicht – und Forschungseinrichtungen sollten dabei Hilfestellung leisten", meint Hornbostel.
Zu viel Transparenz kann ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung darstellen.
Auch die Wissenschaftskommunikation spielt eine Rolle. Denn die Forscherinnen und Forscher stehen unter dem Druck, ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zu kommunizieren, die wiederum daran interessiert ist, wie ihre Steuergelder in der Forschung eingesetzt werden. Aber Schlagzeilen und Pressemitteilungen vermögen nur selten, Komplexitäten aber auch Ungewissheiten im wissenschaftlichen Prozess zu vermitteln. Man denke nur an die hartnäckige Anti-Impf-Bewegung: Über die Ergebnisse einer mangelhaft konzipierten Studie, die eilig wieder zurückgezogen wurde, wurde ausführlich berichtet, bevor die wissenschaftliche Gemeinschaft die Gelegenheit dazu hatte, sie zu hinterfragen oder sie zu erwidern. Und obwohl die Studie gänzlich diskreditiert wurde, ist der Schaden für die öffentliche Gesundheit dauerhaft und anscheinend unumkehrbar.
Zudem könnte ein öffentlicher Zugang zu Daten ein Sicherheitsrisiko darstellen: In einer Welt, in der Techniken wie CRISPR die genetische Manipulation von Organismen nur mit einer Grundausstattung ermöglichen, kann das Veröffentlichen von Laborexperimenten und -ergebnissen zwar zur Transparenz beitragen, dürfte aber wohl nicht im öffentlichen Interesse liegen.
Für Stefan Hornbostel ist Transparenz wertvoll. Aber "offene Wissenschaft ist nicht die Lösung für alle Probleme, die wir haben", erklärt er. "Man muss unterscheiden zwischen den Formen offener Wissenschaft, die hilfreich sind, und denen, die mehr Probleme verursachen, als sie lösen."
1 Auch die Bevölkerung ist im Grundsatz mehrheitlich positiv eingestellt: Nach dem Wissenschaftsbarometer 2017 haben mit 50 Prozent der Bevölkerung nur eine knappe Mehrheit "eher Vertrauen" in die Wissenschaft. Aber nur 12 Prozent geben an, sie hätten "eher kein" oder "gar kein Vertrauen". (Quelle: Wissenschaftsrat; Berlin, 20. Oktober 2017)
2 12 % der Befragten mit Gutachtererfahrung geben an, dass die Gutachtenqualität sich deutlich verschlechtert hat; 32 % geben an, dass sich die Gutachtenqualität eher verschlechtert hat (Quelle: Neufeld, J., & Johann, D. (2016): Wissenschaftlerbefragung 2016 - Variablenbericht - Häufigkeitsauszählungen. Hannover/Berlin: DZHW.)
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