
"Mobilität: Von der Zukunft eines Lebensgefühls"
mit Prof. Dr. Joachim Scheiner, Prof. Dr. Andreas Knie, M. Sc. Florian Herrmann, Prof. Dr.-Ing. Karsten Lemmer und Dr. Daniel Lingenhöhl (Moderation)

Der erste Vortragende des Abends, Prof. Dr. Joachim Scheiner, Verkehrs- und Raumplaner an der Technischen Universität Dortmund, begann mit einer Definition von Mobilität: "Im weitesten Sinne bezeichnet Mobilität einen Positionswechsel in einem System", erklärte der Wissenschaftler. Die Maßeinheiten für diese Positionswechsel seien vielfältig, man könne sie in Kilometern messen, aber auch mit der Anzahl. Daraus wiederum ergebe sich die Frage, was "viel" Mobilität sei und was "wenig" – was am Ende jeder nur individuell beantworten könne.
Mobilität als Lebensgefühl
"Für die Art, wie wir Mobilität heute wahrnehmen, ist der Begriff 'Lebensgefühl' wohl am treffendsten", konstatierte Scheiner. Der Ausdruck "Mobilität" werde von den Menschen generell als "diffus" wahrgenommen, da Mobilität sowohl soziale Vernetzung als auch ökonomischen Austausch ermöglicht, der eigenen Versorgung mit Gütern dient und auch Optionen für Bildung und Erholung schafft. Neben seiner Begriffseinordnung lieferte Scheiner statistische Daten, um Mobilität und ihre Auswirkungen greifbarer zu machen: Beispielsweise sind trotz der Tatsache, dass die Alltagsmobilität stagniert und der Fernverkehr zunimmt, rund die Hälfte aller Wege eines deutschen Durchschnittsbürgers kürzer als drei Kilometer – und gut ein Viertel wird zu Fuß zurückgelegt. Zudem hätten 18 Prozent der deutschen Haushalte keinen eigenen PKW. Da in ländlichen Gebieten der öffentliche Nahverkehr oftmals schlecht ausgebaut sei, ist die Folge, dass 3 bis 4 % der Bevölkerung den täglichen Einkauf und 7 bis 8 % ihren Arbeitsplatz nur unter erschwerten Bedingungen erreichten. Bei Menschen mit niedrigen Einkommen seien diese Zahlen noch höher. "Sozialer und ökonomischer Austausch sind an Mobilität gebunden – und wenig mobile Menschen sind häufig von diesem Austausch ausgeschlossen", resümierte Scheiner.
Deutschland passt auf den Vordersitz
Der zweite Vortragende des Abends war Prof. Dr. Andreas Knie, der als Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie am Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel arbeitet. Er hielt den 18 % derer, die keinen PKW besitzen, die Zahl entgegen, dass auf jeden Deutschen trotzdem 1,14 Autos kommen. "Die gesamte deutsche Bevölkerung könnte also in unseren PKW Platz nehmen und niemand müsste auf der Rückbank sitzen", skizzierte Knie. Nach seiner Einführung berichtete der Wissenschaftler auch von negativen Folgen der gestiegenen Mobilität: "Je besser die Infrastruktur ist, desto schneller sind heute die Menschen weg – vor allem junge Frauen." Damit zielte Knie vor allem auf ländliche Gebiete, in denen die Bevölkerungszahlen merklich sinken, was wiederum eine Kette von Folgen wie Überalterung ländlicher Gebiete u. ä. nach sich zieht. "Nun stellt sich natürlich die Frage: Wo und nach welchem Plan sollen wir unsere Infrastruktur auf- und ausbauen?", fragte Knie. Einen weiteren Faktor, den der Forscher anführte, ist die Art der Fortbewegung: Dass sich die Menschen auf ein Haupttransportmittel festlegen, geschehe nur noch selten. Eine Diversifizierung in den genutzten Mobilitätsprodukten werde immer häufiger, was auch zu Nutzungshürden führe. Beispielhaft nannte er hier den Umstieg von einem Fernreisezug auf den öffentlichen Nahverkehr in einer Stadt, der einem noch fremd ist. Diesem Hindernis der Mobilität werde heutzutage zum Beispiel durch Apps und Websiten begegnet.

Zeiten mit mehr E-Autos als Verbrennungsmotoren sind vorbei
In der anschließenden Podiumsdiskussion kamen weitere Aspekte, die mit Mobilität zusammenhängen, zur Sprache, zum Beispiel ökologische. M. Sc. Florian Herrmann, Leiter des Competence Centers "Mobility Innovation" am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, berichtete davon, dass es bereits eine Zeit gegeben hätte, in der es mehr Elektrofahrzeuge als solche mit Verbrennungsmotor gab. Um 1900 etwa war dies der Fall – allerdings gab es seinerzeit auch einen großen Anteil dampfgetriebener Automobile. Erst im Laufe der Jahre setzten sich die Verbrennungsmotoren gegen beide Konkurrenzprodukte durch. Heute sind sie immer noch deutlich marktbeherrschend und das Angebot an Elektrofahrzeugen ist gering. Dem entgegen steht das Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen zu bringen. "Das Problem ist, dass die Kosten für Elektrofahrzeuge doppelt so hoch sind wie für normale PWK, sie aber viel weniger Reichweite bringen", erklärte Andreas Knie. Seiner Ansicht nach müssten vonseiten der Politik mehr Anreize, z. B. finanzieller Art, geschaffen werden, damit die Elektromobilität sich schneller entwickelt.

Prof. Dr. Karsten Lemmer, Direktor des Instituts für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, stimmte Knie zu und betonte zudem, "dass es ein Heer von Tankstellen gibt, dafür aber kaum Steckdosen für Elektrofahrzeuge, die sich dazu noch alle untereinander unterscheiden". Einen Blick in die Zukunft warf Andreas Knie auch und führte die ökologischen Folgen der gestiegenen Mobilität und vor allem der vielen Kraftfahrzeuge ins Feld: In 22 deutschen Städten würden die Grenzwerte für Luftschadstoffe dauerhaft überschritten; in Stuttgart denke man sogar darüber nach, Dieselfahrzeuge aus dem Stadtgebiet komplett zu verbannen. Alternative Mobilitätsprodukte wie Car-Sharing-Modelle, die Kosten sparen und die Umwelt schonen, setzten sich vor allem in Großstädten vermehrt durch, ergänzte Lemmer: "In Hamburg ist es mancherorts sogar der Fall, dass diese Autos im Halteverbot geparkt werden und sie trotzdem keinen Strafzettel erhalten, weil der nächste Fahrer einsteigt, bevor eine Politesse den Falschparker bemerkt." Über die Bewertung dieser Entwicklung könne man freilich streiten, so Lemmer.
Florian Herrmann brachte noch aktuelle technische Entwicklungen in die Diskussion ein, zum Beispiel das assistierte bzw. autonome Fahren. In diesen Technologien, die u. a. teilweise bereits serienmäßig erhältlich Spurhalteassistenten oder Abstandhaltersysteme umfassen, sieht er nicht nur die Chance, die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland zu verringern. Auch für die Zukunft deutscher Automobilbauer und -zulieferer sieht er hier einen Markt, da der Trend zum Kauf eines Neuwagens spürbar abnimmt und die Branche neue Absatzmärkte suchen muss. "Trotzdem müssen, ähnlich wie bei Elektrofahrzeugen auch, in diesem Bereich noch rechtliche Grundlagen geschaffen oder verändert werden, damit sich die Technologien auf unseren Straßen testen lassen und durchsetzen können", erklärte der Forscher. Und Andreas Knie resümierte: "Ob wir das richtige Konzept für das Auto der Zukunft haben, oder knapp daran vorbei konstruieren, müssen wir erst noch ergründen."
Tina Walsweer