Sein Büro teilt Ranisch zu Forschungszwecken öfter mit einem Pepper-Roboter, der in der Pflege etwa für spielerische Aktivitäten eingesetzt werden kann. (Foto: Marcel Wogram)
Vom Nachdenken zur Meinungsbildung
Der Austausch ist eine Grundbedingung für das, was die Ethik im Kern ausmacht: das Abwägen. "In meinem Fachgebiet tauschen wir uns über Entwicklungslinien in der Wissenschaft und der Gesellschaft aus. Letztlich fragen wir nach den Bedingungen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, an dem es sich gut leben lässt", sagt Ranisch. Wer sich mit dem 37-Jährigen unterhält, kann eine Kernkompetenz, die dieses Abwägen unbedingt braucht, sofort bemerken: Ranisch ist ein guter Zuhörer, der sich offen und ohne Allüren den Fragen und Anmerkungen seines Gegenübers stellt, sie ernst nimmt und mit seinen eigenen Gedanken anreichert oder ergänzt. Sein Ziel ist es, möglichst viele Menschen in der Gesellschaft zu erreichen, sie für ethische Fragen zu sensibilisieren und vor allem zur Meinungsbildung anzuregen.
Das hat er schon in seinem – von der VolkswagenStiftung geförderten – Forschungsprojekt "ZukunftMensch" angestrebt und realisiert. In Kooperation mit Julia Diekämper vom Berliner Museum für Naturkunde beschäftigte sich Ranisch von 2018 bis 2020 mit den Herausforderungen der modernen Gentechnologie.
Anlass für Ranisch und seine Mitstreiterin waren die beiden ersten, in China geborenen Babys Lulu und Nana, deren Erbgut gentechnisch so verändert werden sollte, dass sie sich nicht mehr mit dem HI-Virus anstecken können. In dem Projekt ging es nicht nur darum, mit Akteuren des Wissenschaftsbetriebs Chancen und Risiken solcher Anwendungen herauszuarbeiten, auch Menschen ohne Fachwissen wurden beispielsweise mit Workshops, Filmabenden und einer Schreibwerkstatt erreicht und zum Nachdenken motiviert.
"Wenn der Mensch mit der Genschere CRISPR in sein eigenes Genom und dadurch womöglich sogar in die Evolution eingreift, dann sollte das nicht nur unter Expert:innen diskutiert werden. Das geht uns alle an", sagt Ranisch.
Mit DiMEN die Medizinethik stärken
So wichtig ethische Perspektiven in der Medizin schon lange sind, in der Ausbildung von Ärzt:innen wird die Medizinethik immer noch etwas stiefmütterlich behandelt. Mit der Digitalisierung ergeben sich zudem völlig neue Herausforderungen, die eine neue Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und neue Antworten erfordern. Entsprechende Weiterbildungsangebote zur Medizinethik fehlen aber häufig, meint Robert Ranisch.
Angesichts knapper Mittel ist es leider immer noch ein gewisser Luxus, wenn sich ein Universitätsklinikum einen Lehrstuhl für Medizinethik leisten kann.
Prof. Dr. Robert Ranisch
Die Überzeugung, dass die Auseinandersetzung mit einer modernen, den Entwicklungen angepassten Medizinethik früh einsetzen muss und möglichst flächendeckend und qualitätsvoll geführt werden sollte, verbindet ihn mit den Medizinethikern Prof. Dr. Dr. Urban Wiesing und Prof. Dr. Hans-Jörg Ehni von der Universität Tübingen. Um strukturelle Veränderungen in der Breite bewirken zu können, haben die drei Wissenschaftler gemeinsam die Idee des Digital Medical Ethics Network (DiMEN) entwickelt. Ihr ambitioniertes Vorhaben wird von der VolkswagenStiftung gefördert. Mit DiMEN gehen sie die Herausforderung an, dass die Bedeutung medizinethischer Fragestellungen in einer deutlichen Diskrepanz zur institutionellen Gewichtung des Faches steht – und dass dem sich ändernden interdisziplinären Profil der Medizinethik Rechnung getragen werden muss. So sollen deutschlandweit zum Beispiel Ethik-Angebote für Einrichtungen geschaffen werden, denen eigene Strukturen für die Medizinstudierenden fehlen. Geplant ist auch die Entwicklung eines Curriculums zur Stärkung der Ausbildung sowie die Initiierung eines Forschungshubs zur Grundlagenforschung, Vernetzung und Qualifizierung von Wissenschaftler:innen.
"Wir sind ein Stück weit ein Fremdkörper im Medizinbetrieb, nicht zuletzt aufgrund der Interdisziplinarität der Medizinethik. Angesichts knapper Mittel ist es leider immer noch ein gewisser Luxus, wenn sich ein Universitätsklinikum einen Lehrstuhl für Medizinethik leisten kann", stellt Robert Ranisch fest. Er ist froh, jetzt mit DiMEN dem "kleinen Fach" Medizinethik etwas mehr Gewicht geben zu können. Und dass das Projekt auch die Chance zur Erprobung von digitalen Angeboten der Ethikberatung bietet, die ganz praktisch auch der Patientenversorgung zugutekommen kann, freut ihn besonders.