Christoph Klimmt und Arthur A. Raney während des Fotoshootings für "Herrenhausen Late: Unsere makabre Freude an Leichen: Alles über Krimiserien". (Foto: Isabel Winarsch für VolkswagenStiftung)
Was glauben Sie, hält Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bislang davon ab, sich zu öffnen und in Austausch mit der Gesellschaft zu treten?
Ch. K.: Ich glaube es gibt zwei wichtige Gründe, warum manche Kolleginnen und Kollegen hier sehr zurückhaltend sind. Der eine ist, dass der Wettbewerbsdruck innerhalb der Wissenschaft enorm gestiegen ist. Wir sprechen ja auch von der Ökonomisierung von Wissenschaft. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass Professorinnen und Professoren alle scharf auf berufliche Erfolge sind und mehr publizieren wollen, sodass ihnen keine Zeit bleibt, um Wissenschaftsvermittlung zu betreiben. Es hat auch etwas damit zu tun, dass Hochschulleitungen und Wissenschaftspolitik entsprechenden Druck aufbauen. Wir müssen heute in aller Regel Zielvereinbarungen erfüllen, wir müssen Leistungsbilanzen vorlegen, und es sieht nicht gut aus, wenn wir in einem Jahr deutlich weniger Drittmittel eingeworben haben als zuvor. Da kommt ein Universitätspräsident, eine Hochschulleitung und fragt nach, was denn da im Argen liegt. Wir sind nicht mehr so frei wie früher, und müssen darauf reagieren. Viele arbeiten sehr intensiv für ihre Forschung und haben deswegen das Gefühl, wenn das Bestehen im Wissenschaftssystem so hart geworden ist, dann ist es schwierig, auch noch sehr viel Zeit in Wissenschaftsvermittlung zu investieren.
Der zweite Grund ist, glaube ich, dass immer noch viele Kolleginnen und Kollegen falsche Vorstellungen davon haben, was es bedeutet, sich für Wissenschaftsvermittlung zu engagieren. Nämlich einerseits, dass es wahnsinnig viel Arbeit ist und andererseits, dass Risiken damit verbunden sein könnten, man könne etwas falsch machen. Zum Beispiel bei der notwendigen Komplexitätsreduktion. Also: Wenn ich moderne Lasertechnologien für Laien verständlich erklären will, muss ich natürlich bildersprachlich arbeiten und ein paar Bilder verwenden, bei denen mancher Experte vielleicht sagt, das ist ja eine Verdrehung der Tatsachen. Und genau diese Übersetzungsleistung anzubieten und dabei auch so mutig zu sein, die wissenschaftliche Präzision ein Stück weit zurückzustellen, das ist glaube ich etwas, wovor sich viele Kolleginnen und Kollegen tatsächlich fürchten, dass ihnen das eines Tages vor die Füße fällt – im Sinne von: "Sie haben da bei dem Vortrag X für die Öffentlichkeit diese komplexe Technologie Y aber völlig falsch dargestellt." Denn das haben nun mal alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Basisprinzip gelernt: Es muss genau und korrekt sein. Und bevor sie dann in einen Konflikt geraten zwischen diesen beiden Polen, lassen sie es lieber ganz sein. Da ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
Der andere Faktor, nämlich die Befürchtung, dass zu viel Arbeit investiert werden muss, ist etwas, was man leichter entkräften kann. Gleichwohl muss man den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch einen Ermöglichungsrahmen dafür bauen. Das ist nicht einfach so neben dem Tagesgeschäft zu machen, sondern es braucht – und auch dafür ist Herrenhausen Late ein gutes Beispiel – Akteure, Rahmenbedingungen und tatsächlich auch Ressourcen, um solches Engagement gründlich vorbereiten und durchführen zu können.
Mit welchen Hilfestellungen ließen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler motivieren, doch stärker in die Öffentlichkeit zu kommunizieren?
Ch. K.: Um Kolleginnen und Kollegen erstmalig zu motivieren, ihre Scheu zu überwinden, ist es nützlich, Anreize zu setzen. Es muss deutlich werden, die Aufgabe der Vermittlung kommt jetzt nicht noch "on top", sondern sie ist leistbar. Und man bekommt Hilfe bei den Fragen, wo noch Berührungsängste verspürt werden. Und dass man für so ein Engagement auch Anerkennung erhält, auch von der Hochschulleitung, die in der Regel ja gut darin ist, den Erwartungsdruck allgemein zu steigern und gleichzeitig mehr Engagement für Wissenschaftskommunikation einzufordern.
Die Erkenntnis, dass nicht alles gleichzeitig geht, muss in diesem Umfeld sicher noch wachsen. Also bevor man jetzt ganze Professorenschaaren durch Medientrainings scheucht, wäre es viel sinnvoller, erst mal im Bereich der Wissenschaftssteuerung, also in Hochschulleitungen und Dekanaten, die Reflexion darüber anzustoßen, wie bauen wir Wissenschaftsvermittlung in unser Anerkennungssystem ein? Und wie verteilen wir auch die Lasten sinnvoll? Beispiel: In einem großen Fachbereich mag es 50 bis 100 Professoren geben. Und wenn sich jede oder jeder von denen zweimal im Jahr für ein Format der Wissenschaftsvermittlung zur Verfügung stellt, und alle das Gefühl haben, sich nicht allein zusätzlich zum Tagesgeschäft der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, dann wird man schon erhebliche Motivationseffekte erzielen können.
Sehen Sie in den vielfältigen digitalen Optionen und im veränderten Medienverhalten jüngerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Potential für eine neue, erfolgreiche Wissenschaftskommunikation?
Ch. K.: Ich sehe in den digitalen Medien ehrlich gesagt vor allen Dingen ein Problem für die Wissenschaft. Und zwar weil dadurch, dass jetzt über soziale Medien der Kontakt zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Allgemeinheit leichter herzustellen wäre, die Illusion geschürt wird, dass die Aufgabe der Wissenschaftsvermittlung viel einfacher wird und man deswegen von Forschenden mehr Engagement für dieses Feld erwarten darf. So einen Videoblog könne heute ja jeder Wissenschaftler haben und so ein bisschen twittern über die neuste Forschung, das wäre ja wohl nicht zu viel verlangt...
Tatsächlich ist gerade für uns Kommunikationswissenschaftler das Aufkommen von digitalen Kanälen einerseits spannend, andererseits besorgniserregend, weil der Bedeutungsgewinn digitaler Kanäle vor allen Dingen zu Lasten des klassischen Journalismus geht. Den darf man nämlich nicht vergessen, wenn es um Wissenschaftsvermittlung geht. Früher mal war dies hauptsächlich die Aufgabe von Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten, aber aller Orten gibt immer weniger Profis, die diese Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit journalistisch begleiten und gestalten. Und das in Zeiten, wo das eigentlich dringend nötig wäre, weil Wissenschaft eben größer und komplexer, erklärungsbedürftiger und ‚kritisiernotwendiger‘ wird. Wenn ich daher sage „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind gefordert, sich an der Wissenschaftsvermittlung zu beteiligen“, geht das immer mit der Forderung einher, dass wir auch mehr für den Wissenschaftsjournalismus tun müssen. Und da gäbe es im digitalen Bereich natürlich Chancen. Gleichwohl muss man auch da überlegen, wie für den Journalismus insgesamt, welche Finanzierungsmodelle würden funktionieren?
Digitale Medien bieten viele neue Chancen, mit überschaubarem Aufwand auch beispielsweise einzelne Forschungsprojekte nachhaltig transparent zu machen. Wir machen recht gute Erfahrungen damit im Rahmen von Modulen in Projektverbünden, die sich mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs beschäftigen. Wir bringen die Wissenschaftskommunikation beispielsweise durch Filmprojekte mit den Doktorandinnen und Doktoranden ein. Da entsteht dann guter Content, mit dem man der Öffentlichkeit zum Beispiel etwas über einen Sonderforschungsbereich vermitteln kann. In der Breite braucht es aber gute Journalistinnen und Journalisten, ausreichend Ressourcen und professionelles Knowhow, damit solche Themen in digitale Kanäle getragen werden. Denn Wissenschaftskommunikation können Doktorandinnen und Doktoranden nicht von allein, nur weil sie einen privaten Instagram-Account haben.