Die "Akademie im Exil" dient sowohl den geflüchteten Forscherinnen und Forschern als neue Wirkungsstätte als auch der Ausweitung der Türkeiforschung in Deutschland. (Foto: Christian Burkert für VolkswagenStiftung)
Wie hat sich das Auswahlverfahren auf Sie persönlich ausgewirkt?
In der ersten Runde konnten wir zunächst nur sechs Fellowships an 120 Bewerberinnen und Bewerber ausgeben. Das war eine große seelische Belastung. Es reichte vorne und hinten nicht. Es gab so viele ausgezeichnete Bewerbungen. So hatten wir einen Fall, der mir besonders schlaflose Nächte beschert hat. Ein sehr junger, frisch promovierter Kollege war mit seiner schwangeren Frau aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet. Noch im Krankenhaus, in dem seine Tochter zur Welt kam, schrieb er seine Bewerbung an die Akademie. Er war leider noch nicht soweit etabliert, dass man sehen konnte, wie vielversprechend seine Arbeit sein würde. Deshalb konnten wir ihm zunächst kein Stipendium geben. Er war aber auf unserer Liste, und als wir über andere Stiftungen zusätzliche Gelder einholen konnten, haben wir ihn zu uns geholt. Schwieriger wurde es dann bei der zweiten Vergaberunde im Mai 2019. Es bewarben sich weltweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, also nicht mehr nur aus der Türkei. Um hier gerecht entscheiden zu können, haben wir uns die Expertise von Leuten geholt, die die Situation in den jeweiligen Ländern einschätzen konnten.
Aus welchen Ländern sind die Stipendiatinnen und Stipendiaten?
Wir haben Bewerbungen aus Polen, insbesondere nach der Einführung des Holocaustgesetzes. In Ungarn wurden die Gender-Studies-Programme geschlossen. Bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler melden sich auch aus Brasilien, Nigeria, Indien, Indonesien oder Pakistan bei uns.
Wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier in Deutschland sind – was bereitet Ihnen am meisten Probleme? Die Sprache?
Die eher nicht, denn die Wissenschaftssprache ist Englisch. Unsere Fellows ermutigen wir dazu, Deutschkurse zu belegen. Die Fellows leiden eher darunter, dass sie ihr Publikum verloren haben. Ja, sie können forschen und Bücher schreiben. Aber ihnen fehlt die Lehre, der Umgang mit den Studierenden. Deshalb bauen wir derzeit ein Projekt für die digitale Lehre auf.
Welchen Vorteil bringt die Akademie den deutschen Universitäten?
Wir erreichen durch die sehr hoch qualifizierten Stipendiaten eine größere Internationalität an den deutschen Universitäten. Gerade die Türkeistudien werden dadurch unheimlich bereichert. Woran man sich auch erinnern sollte: Nach 1933 verließen sehr viele deutsch-jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter Deutschland und haben in der Türkei die Möglichkeit bekommen, weiterzuarbeiten. Die Fellows zeigen uns immer wieder, wie wichtig die Wissenschaftsfreiheit ist. Die Freiheit von Forschung und Lehre ist auch in Deutschland nicht selbstverständlich. Man muss nur daran denken, in wie vielen Gremien die AfD, die diese Freiheit vielfach infrage stellt, mit am Tisch sitzt. Und wir müssen darauf achten, dass ausländische Regierungen nicht in unsere Wissenschaftsfreiheit eingreifen.
Wie viele Menschen haben bereits ein Stipendium bekommen?
Bislang haben wir 33 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefördert. Wir haben drei verschiedene Fellowships – es gibt neben den 12 und 24 Monaten auch die dreimonatigen Notstipendien.
Wie geht es weiter mit der Akademie?
Die Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit nimmt weltweit zu. Deshalb werden wir die Akademie noch viele Jahre brauchen. Wir wollen das Angebot durch Stipendienprogramme und Initiativen weiter ausbauen, beispielsweise durch ein Haus mitten in Berlin, das derzeit renoviert wird. Dazu haben wir in Kooperation mit der Humboldt-Universität das Projekt "Das deutsche Haus – Haus im Exil" gegründet, zu dem auch die "Akademie im Exil" gehört. Damit setzen wir ein sichtbares Zeichen, dass wir die Demokratie und Wissenschaftsfreiheit, die für mich untrennbar sind, in Deutschland fördern. Es ist nicht nur wichtig, dass man individuell Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hilft. Man muss auch schauen, welches Wissen den Ländern entzogen wird und welchen Beitrag wir dazu leisten können, dieses Wissen weiterzuentwickeln.